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Ein Meinungsbeitrag von Alexander Kohler

Das Afghanistan-Debakel und warum PIRATEN hier den BND in Schutz nehmen müssen.

Bild: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu) Lizenz: CC BY-SA 3.0-de

Ein Meinungsbeitrag von Alexander Kohler

Bei der Überschrift fragt Ihr Euch vielleicht: Warum nehmen ausgerechnet PIRATEN den BND in Schutz? PIRATEN sind Geheimdiensten doch so kritisch gegenüber eingestellt, protestieren für Snowden und andere Whistleblower. PIRATEN wollen Hintertüren in Software verhindern usw.

Ja, Piraten sehen diverse Dinge auch aus konstruktiven Gründen kritisch. Die Kritik begründet sich natürlich auch darin, dass man oft das Gefühl hat, manche Dienste (oder deren Dienstherren, die ihnen was Gutes tun wollen) wollen nicht verstehen, warum z.B. Hintertüren in Systemen in unserer heutigen Zeit eine dumme Idee sind. Sie können sehr leicht von anderen genutzt werden, ob das nun man selbst als Dienst ist, oder ein „Hacker“ oder andere Staaten, mit denen man die Daten, die man gewinnt, gegen andere Daten eintauscht. Nicht jeder ist friedlich. Es tut von außen betrachtet schlichtweg weh, wenn man mit alten Verfahren und Denkweisen in einer neuen Zeit unterwegs ist.

Auch deshalb versuchen wir, mit Kritik aktiv Geheimdienste zum Nachdenken anzuregen und die Bürgerrechte hochzuhalten; das kommt oftmals vielleicht etwas anders an. Aber im Gegensatz zu einiger politischer Konkurrenz stehen Piraten fest zum Grundgesetz. Ein ähnliches Verhältnis haben Piraten übrigens auch im Bezug auf das Urheberrecht. Auch hier schaden sich diejenigen selbst, die sich durch die PIRATEN angegriffen fühlen, indem sie die Gründe für Kritik falsch deuten. Im Prinzip die übliche „Don’t shoot the Messenger“- Herausforderung.

Situation und sichtbare Auswirkungen

In Deutschland sehen wir aktuell ein absolutes Organisations-, Informations- und Kommunikationsdebakel, unter dem die Bundeswehr, die Ortskräfte und andere deutsche Organisationen leiden; im Übrigen sind wir da auch nicht allein: Bei den anderen in Afghanistan involvierten Nationen treten dieselben Mängel zu Tage. Am besten wäre es, immer eine konkrete realistische Zielsetzung zu formulieren (nicht unbedingt zu politisch diffus) – also konkret: Nicht im üblichen „wir wollen Weltfrieden“-Stil. Das führt zu einer Symbolik a’la: „Die böse Konkurrenz führt uns vor.“

Die Bundeswehr sagt dann, was sie braucht, um das Ziel zu erreichen, und die Politik sagt dann: „Ja!“ – oder Nein, nicht halb sondern ganz oder eben gar nicht. Das wäre das Ideal der Krisenbewältigung und das passiert zur Zeit in diversen Bereichen bei verschiedenen Katastrophen mit unterschiedlichen Beteiligten nur suboptimal.

Darüber hinaus ist es oft kontraproduktiv, sich als Politiker in die Einsatzplanung einzumischen. Besonders aus politischen und wahlkampftechnischen Überlegungen in die Einsatzplanung und konkrete Abläufe einzugreifen, ist schädlich. So ist oft, wie das Beispiel Bundeswehr zeigt, auch die Ausrüstungsbeschaffung Ziel von politischen Überlegungen. Man will demagogisch glänzen, was dann dazu führt, dass man ohne Hilfe von außen nicht handlungsfähig ist.

Das führt dann genau zu solchen Debakeln wie aktuell in Afghanistan. Bezeichnend sind hier Forderungen wie z.B. von der Grünen Kanzlerkandidatin, die Verteidigungsminister sollen den Einsatz vor Ort (aus dem Nachbarland) heraus führen. In ihrer Unkenntnis bei dieser Forderung ist Baerbock übrigens parteiübergreifend nicht alleine, aber es ist Wahlkampf und man muss das populistisch ausnutzen. Hier zeigt sich das grundlegende Problem, welches uns gerade in der Krisenbewältigung aktuell so viel Schwierigkeiten bereitet; nicht nur in Afghanistan. [1]

Aber das grundlegende Debakel liegt in der politischen Informationsblase begründet, die sich anscheinend um den Bundestag gelegt hat und wo nun der BND als Sündenbock herhalten darf, denn er darf sich nicht wehren.

Kollision von Denkweisen, Filterung und Mentalität

Wir haben auf der einen Seite den Parlamentsbetrieb und den politischen Bereich in den Ministerien, denn die Ministerien werden von Parteipolitikern besetzt. Auf der anderen Seite haben wir die Dienste oder die, die Lagebeurteilungen schreiben. Die einen wollen gewählt werden, sind fachfremd und kommen mit der Realität beispiels- weise in Konfliktregionen meist nicht direkt in Kontakt. In den Ministerien hat sich quasi die Kultur eines höher bezahlten Praktikums mit Leitungsfunktion und politischem Anspruch – abhängig von der Zusammensetzung – der jeweiligen Regierung etabliert.

Die anderen, wie der BND, haben die Aufgabe, Informationen zu sammeln, auszuwerten und die Entscheidungsgrundlagen für die politische Ebene zu schaffen. Das Ideal wäre ein politischer Entscheidungsträger, der umfassend informiert und dadurch in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen. Was gut wäre für den Bereich, für den er einige Jahre verantwortlich ist. Er fungiert dort als Entscheidungsträger, auch wenn er sich mit der Thematik nicht befasst hat. Wünschenswert wäre auch, dass er über den Rand der heilen Bundestags- und Ministeriumswelt hinausblickt. Aktuell zeigt sich dies in Bezug auf Afghanistan gerade im Außenministerium mit Heiko Maas und den Fachausschüssen sehr drastisch, insbesondere bei der Schuldzuweisung an den BND.

Die wunderbare Angelika Beer (frühere Grünenchefin und verteidigungspolitische Sprecherin) – die sich ja vor einigen Jahren der Piratenpartei angeschlossen hat und auch in der Arbeitsgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik Mitglied ist – hat das im Rahmen einer Piratenpartei – Konferenz in Potsdam sehr schön dargestellt. Angelika und ihr Mann erzählten uns, wie sie sich kennengelernt hatten: Während des Kosovo – Konflikts suchte sie wutschnaubend das Büro des deutschen Militärattachés in Skopje (ihres jetzigen Mannes) auf, hielt die Lagebeurteilung, die sie im Bundestag erhalten hatte, in die Höhe und fragte: „Haben Sie das geschrieben?“

Er: „Ja, das habe ich geschrieben. Und die 60 weiteren Seiten auch.“

Wir sehen also, auf dem Weg zu den Entscheidungsträgern wird vorausschauend gefiltert und auch oft geschönt. [2]

Ich vermute folgende Gründe:

  1. Verfälschung der Information durch viele Zwischenschritte.
  2.  Vorauseilendes schönmachen der Informationen (der Überbringer schlechter Nachrichten hat schlechte Karten).
  3. Wir wollen nicht beunruhigen und können es der Öffentlichkeit schlecht verkaufen, also ignorieren wir das, was man uns sagt: Wird schon schief gehen. (Maas Spitze des Außenministeriums, zuständig für das aktuelle Afghanistan Debakel, BND Kritiker und Kaffeeliebhaber) [3]
  4.  Elfenbeintürme verschiedener Ministerien, die miteinander in Konkurrenz stehen – so kann es vorkommen, dass man sehr leicht auch für Deutschland ungünstige und fatale strategische außen- und energiepolitische Entscheidungen trifft, wie im Fall Nord Stream [4] (SPD Kanzlerkandidat Scholz ist für die Koordination dieser zuständig, es besteht Verbesserungsbedarf [5])
  5.  Informationen nicht lesen können, weil man die Entstehung und die Fallstricke nicht kennt. (Passiert auch in Wirtschaftsunternehmen, man macht eine Auswertung und die Führungskraft zieht die falschen Schlüsse aus einer Kennzahl, man lässt sich manipulieren und wertet entsprechend.)

Das ist fast bei allen Organisationen so, gefährlich wird es aber, wenn der Empfänger das Politische über das Sachliche stellt und die falsche Fehlerkultur hat. Das Problem verstärkt sich dann noch, indem die Falschen bestraft werden. Insbesondere wenn man als Abgeordneter oder höherer Ministeriumsmitarbeiter mit viel Selbstvertrauen ausgestattet ist und sich ins taktische Management oder Mikromanagement vertieft.

Wie es im aktuellen Fall dem BND passiert, der ja bekanntlich ausgiebigst und frühzeitig gewarnt hat – auch teilöffentlich – das man es sogar von weit draußen mitbekommen hat. Offensichtlich ist der BND an der politischen Filterbubble gescheitert, die jetzt gleichzeitig auf der Suche nach einem Sündenbock für die eigenen Versäumnisse ist.

Deswegen ist kaum erklärbar, was zum Beispiel Frau Dr. Strack – Zimmermann (FDP) reitet, wenn sie den BND für falsche Informationen kritisiert; ich halte es für schlechten Stil. [6] Aus den genannten Gründen halte ich viele Mitglieder diverser Ausschüsse und Minister nicht geeignet, aktuell richtig zu handeln. Ich bitte auch die Kritiker, sich jetzt zurückzuhalten (trotz Wahlkampf), um unsere Soldaten und Ortskräfte nicht zu gefährden. Sie sollen die Aufarbeitung – auch selbstkritisch – im Anschluss beginnen.

[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/baerbock-afghanistan-illner-100.html
[2] vgl Operation “Essential Harvest” – Parlamentarische Praxis und militärische Durchführung von Auslandseinsätzen am Beispiel Mazedonien (Angelika Beer; MdL und ehemals MdB (Auswärtiger Ausschuss) & Peter Matthiesen; Oberstlt a.D., ehe- maliger Militärattachée Mazedonien 13.07.13
[3] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/twitter-strategie-im-auswaertigen- amt-100.html
[4] https://www.piratenpartei.de/2021/08/07/nord-stream-die-isolation-deutschlands- durch-unverantwortliche-aussen-und-sicherheitspolitik/
[5] https://www.politik-kommunikation.de/ressorts/artikel/scholz-kleines-kanzler- amt-2002641569
[6] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-taliban-armee-verteidigungs- ministerium-schuld-100.html

Dies ist ein Meinungsbeitrag des Themenbeauftragten Außen und Sicherheitspolitik Alexander Kohler und keine offizielle Parteimeinung

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