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Iran: Die Schäden des Schattenspiels

Ein Beitrag von Amir Taheri, übersetzt von Nasrin Amirsedghi

Die Geschichte ist voller Beispiele, in denen ein Teil eines Volkes – im Glauben, seine ethnische oder nationale Identität zu verteidigen – die korruptesten und blutrünstigsten Regime unterstützt hat.

In den vergangenen Wochen, in denen sich erneut Krisenwolken über dem Himmel unseres Vaterlandes zusammengezogen haben, ist das, was Graf Arthur de Gobineau im 19. Jahrhundert als das „Rätsel Iran“ bezeichnete, wieder verstärkt in den Fokus kultureller, literarischer und politischer Kreise westlicher Hauptstädte sowie der sozialen Medien gerückt.


Gobineau, der eine Zeit lang französischer Konsul im Iran war, spricht von einem Volk, das sein öffentliches Leben nach Maßstäben organisiert, die im Widerspruch zu seinen tief verwurzelten historischen Überzeugungen stehen. Der Iraner, so schreibt er, habe in seinem Innersten niemals den Islam und dessen fremde Kultur angenommen – und verhalte sich doch so, als sei er der beste Muslim der Welt.

Noch vor Gobineau stellte ein großer französischer Schriftsteller, Montesquieu, in seinen „Persischen Briefen“ die Frage: „Wie kann man Perser sein?“ Auch er glaubte, dass die Iraner ihre wahre Identität verbergen.
Der französische Sprachwissenschaftler und Philosoph Ernest Renan sah in den Iranern „ein arisches Volk in semitischer Verkleidung“ und war überzeugt, dass der Tag kommen werde, an dem sie diese kulturelle Maske ablegen und in ihrer eigentlichen nationalen Identität wieder erscheinen würden.

Diese Vorstellung von der Doppelgesichtigkeit der Iraner ist jedoch keine ausschließlich französische Projektion. Die Mehrheit der Muslime – die Sunniten – bezeichnet uns als „Batinis“, also als Menschen, die innerlich das eine denken und äußerlich das Gegenteil sagen.

In den ersten Tagen des israelischen Angriffs auf die Atom- und Raketenanlagen der Islamischen Republik fragten mich viele westliche, türkische und arabische Freunde: Wie kann es sein, dass es noch Iraner gibt – vor allem in Europa und Amerika –, die diesen Krieg, obwohl sein eigentlicher Urheber Ayatollah Ruhollah Khomeini schon vor fast 47 Jahren war, als Gefahr für Irans lange ersehntes Ziel begreifen, endlich ein Gemeinwesen zu errichten, in dem Staat und Nation vereint sind – und sich deshalb auf die Seite eines Regimes stellen, dessen Spitze Ayatollah Ali Khamenei bildet?

Doch auch das ist kein neues Phänomen. Die Geschichte ist reich an Beispielen, in denen Teile eines Volkes im vermeintlichen Schutz ihrer ethnischen oder nationalen Identität die korruptesten und blutrünstigsten Regime unterstützt haben. In den 1930er-Jahren, mit dem Aufstieg Adolf Hitlers zum Führer der „überlegenen Rasse“, unterstützten Millionen amerikanischer Staatsbürger das NS-Regime. Ihre Organisation, bekannt als „Bund“ oder „Federation“, zählte fast sechs Millionen Mitglieder. Die bekannteste Figur unter ihnen war der berühmte Pilot Charles Lindbergh, der – hätte ihn nicht ein Unfall das Leben gekostet – möglicherweise als Präsidentschaftskandidat gegen Franklin D. Roosevelt angetreten wäre.

Der „Bund“ nutzte seinen finanziellen, propagandistischen und wahlstrategischen Einfluss, um die USA vom Krieg gegen Nazi-Deutschland abzuhalten – was den Krieg mindestens zwei Jahre verlängerte.
Auch in Großbritannien verhinderten lokale Hitler-Anhänger durch Straßendemonstrationen und das Tragen quasi-nazistischer Uniformen jegliche Maßnahme, die Hitler hätte eindämmen können – und machten damit den Zweiten Weltkrieg unausweichlich. Der Anführer der britischen Nazis, Sir Oswald Mosley, entstammte einer Adelsfamilie; ihr prominentester Anhänger war Edward VIII., der König von Großbritannien wurde.

In Frankreich, während der deutschen Besatzung, standen Marschall Philippe Pétain und viele Militärs, Intellektuelle, Unternehmer und bekannte Journalisten auf der Seite des Besatzers und wurden teilweise zu Komplizen seiner abscheulichsten Verbrechen. Gruppen wie „Action Française“ und der Verband „Zwei Fahnen“ mit Führern wie Lucien Rebatet und Charles Maurras fungierten als Sprachrohre faschistischer Propaganda. Selbst Jean-Paul Sartre, später Ikone der Pariser Linken, kollaborierte mit der Gestapo und verfasste ein antisemitisches Theaterstück, um sich mit den Besatzern zu arrangieren.
In Norwegen engagierte sich die „Schwarze-Hemden“-Gruppe unter der Führung von Vidkun Quisling so eifrig für die Besatzer, dass sie selbst die Gestapo in ihrer Eifrigkeit übertraf.

In all diesen Fällen diente die angebliche Vaterlandsliebe als Vorwand, um die eigene Unterstützung für Hitler, Mussolini und ihre europäischen Ableger zu rechtfertigen. Wie Bernard Shaw sagte: Falscher Patriotismus ist das letzte Mittel der Komplizen politischer Verbrecher.

Ein älterer amerikanischer Freund von mir, ein Literat, erzählte kürzlich, dass einige iranisch-amerikanische Bekannte ihn gebeten hätten, ein Unterstützungsstatement für die Islamische Republik zu unterzeichnen. Er erinnerte sie daran, dass er auf ihr eigenes Drängen hin in den letzten Jahrzehnten mehrfach Erklärungen zur Verurteilung dieses „blutigen und unterdrückerischen Regimes“ unterzeichnet hatte. Einer der Unterzeichnungswerber, ein Linker, trauert sogar um zwei Brüder, die in der Islamischen Republik hingerichtet wurden.

Ein französischer Freund war auf andere Weise erstaunt: Eine iranischstämmige Wissenschaftlerin, die jahrelang in der Islamischen Republik als Geisel inhaftiert war, bat ihn, mit ihr einen gemeinsamen Artikel zur Unterstützung der Regierung von Ayatollah Khamenei zu schreiben – natürlich unter dem Vorwand, das iranische Volk verteidigen zu wollen.

In mehreren anderen Ländern und auf verschiedenen Ebenen beobachten wir plötzlich, dass etliche Exil-Iraner, die sich seit Jahren in ihren Gastgesellschaften etabliert haben, von einer nostalgischen Sehnsucht erfasst werden – wie ein Elefant, der sich an Indien erinnert, oder wie Rostams Pferd, das zurück in den Iran will. Und so treten sie heute als Propagandisten für Herrn Khameneis Regime auf.

Doch das „Rätsel Iran“ ist noch komplexer. Was man als Inflation virtueller Organisationen bezeichnen könnte, hat sich bereits vor Jahren unter den Exil-Iranern herausgebildet – die aktuelle Krise hat dieses Phänomen jedoch weiter verschärft. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht die Gründung einer neuen Organisation mit einigen Unterschriften bekannt gegeben wird. Manche dieser Gruppen nennen sich Parteien – derzeit sind es über 80. Andere treten als „Räte“ auf und rufen das iranische Volk zur Einheit und zum Einsatz für das Vaterland auf. Doch niemand sagt, was konkret getan wird oder getan werden soll – denn man versteht sich lediglich als „Räter“. Der Begriff „Rat“ ist ohnehin eine Fehlübersetzung des russischen Wortes Sowjet durch die Tudeh-Partei: Sowjet meint ursprünglich eine Gruppe oder ein Exekutivkomitee einer Stadt oder eines Dorfes, nicht einfach ein beratendes Gremium.

Diese Inflation hat dazu geführt, dass wir inzwischen vier oder fünf nationale Fronten und 15 kommunistische Parteien haben. Die Zahl der republikanischen Organisationen beträgt laut unserer letzten Zählung 23. Anhänger der konstitutionellen Monarchie, der Monarchie allgemein, der Pahlavis oder einfach nur Konstitutionalisten zählen über 30 Gruppen. Hinzu kommt laut einer Erhebung des bekannten Sängers Dariush Eghbali, dass Exil-Iraner zwischen 200 und 300 YouTube-Radiosender und -Fernsehkanäle betreiben.

Auf einer anderen Ebene entstehen derzeit mehrere sogenannte „Loya Jirgas“ – also Ratsversammlungen unter verschiedensten Bezeichnungen, die die „Ältesten“ der Nation zusammenbringen sollen. Kurz gesagt: Wir haben viele Kommandeure – was fehlt, sind die Soldaten auf dem Feld.

Diese chaotischen Zustände haben dazu geführt, dass das physikalische Gesetz der Trägheit auch in der heutigen iranischen Politik greift: Ein System, das seine gesellschaftliche Basis verloren hat, in allen Bereichen versagt und nicht einmal mehr die Sicherheit seiner eigenen Führer garantieren kann, zittert weiter am Abgrund – weil niemand da ist, um dem Regime endlich den letzten Tritt in den Hintern zu verpassen.

Die aufgeblähte Organisationslandschaft im Ausland hat viele Iraner im Inland verärgert. Ein Landsmann aus Kerman sagt: „Für die Auslandsiraner – die am Spielfeldrand sitzen – ist es leicht, zu rufen: ‚Schlagt ihn nieder!‘“ Diese Wut ist verständlich, aber nicht gerechtfertigt. Wenn man selbst in einem Brand oder einer Flut steckt, kann man nicht verlangen, dass die Helfer von außen mitsamt hineinspringen und das kollektive Verderben beschleunigen. Die Spaltung in „Innen-“ und „Außen-Iraner“ ist eines jener Werkzeuge, die die Feinde der Freiheit und Würde Irans immer wieder benutzt haben.

Die Auslandsiraner können – und tun es größtenteils auch – einen wirksamen Beitrag zum Kampf für die Befreiung Irans leisten. In manchen Fällen jedoch schwächen sie diesen Kampf. Ein Beispiel für eine solche Schwächung sahen wir in den vergangenen Tagen, als einige bekannte Persönlichkeiten und Gruppen, die sich als Gegner der Islamischen Republik ausgeben, ihre Energie auf Angriffe gegen Reza Pahlavi und die konstitutionellen Monarchisten richteten.

Heute kann kaum jemand leugnen, dass Reza Schah II. und die konstitutionelle Bewegung insgesamt die breiteste und aktivste Kraft gegen die Islamische Republik darstellen. Diese Realität hat selbst Ayatollah Khamenei mehrfach eingeräumt. Wer also seine Kräfte auf die Bekämpfung dieser Bewegung konzentriert, hilft de facto der Islamischen Republik.

Natürlich verlangt niemand, dass Reza Pahlavi oder die konstitutionelle Bewegung über jede Kritik erhaben sein sollen. Selbst Schmähungen und Beschimpfungen gegen Reza Schah II. und die Monarchisten kann man – wenn auch widerwillig – hinnehmen. Denn konstitutionelle Monarchie bedeutet Meinungs- und Redefreiheit.

Was jedoch inakzeptabel ist: Viele Kritiker verharren in einer destruktiven Haltung aus Diffamierung und Beschimpfung – und genau das blockiert den eigentlichen Kampf gegen den Feind. Besonders problematisch ist dies bei jenen, die von Demokratie sprechen, aber in ihrer Vorstellung von Demokratie niemandem das Recht zugestehen, Anhänger der konstitutionellen Monarchie zu sein.

Doch selbst die Konstitutionalisten könnten sich mit dieser bizarren Haltung noch abfinden. Unerträglich ist jedoch, dass die Gegner oder Feinde der Konstitution nicht offen sagen, dass sie Anhänger des Systems der Mashruʿeh sind – also der Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih) – und damit nicht deutlich machen, dass die Entscheidung, vor der das iranische Volk heute steht, dieselbe ist wie in den letzten Jahren der verfallenden Kadscharen-Dynastie (1779–1925): die Wahl zwischen Mashruteh (konstitutionelle Ordnung) und Mashruʿeh (theokratische Ordnung).

Diese Haltung der Gegner des Konstitutionalismus führt zu nichts anderem als zur Zerstreuung der freiheitsliebenden Kräfte. Einige sprechen von einem „dritten Weg“, ohne ihn je zu skizzieren. Andere fordern ein Referendum, können aber nicht sagen, welche Instanz es abhalten, auf welcher Rechtsgrundlage es beruhen und unter wessen Aufsicht es durchgeführt werden soll.

Noch gravierender ist, dass sie nicht klären, welche Frage das erträumte Referendum überhaupt stellen soll. „Ja/Nein-Referenden“ beziehen sich immer auf einen konkreten Text. Beim europäischen Referendum über den Vertrag von Maastricht etwa umfasste der vorgelegte Text über 240 Seiten. Im Referendum vom 6. Bahman (26. Januar 1963) unter Mohammad Reza Schah ging es um Reformen, deren Einzelheiten im Rahmen der „Weißen Revolution“ dargelegt wurden. Ayatollah Chomeinis Referendum – „Islamische Republik: Ja oder Nein?“ – war eine kindische Erfindung, da es sich auf keinen Text bezog und nicht erklärte, was für ein Monster diese „Islamische Republik“ eigentlich sein sollte.

Heute müssen die Befürworter eines Referendums den Text, über den abgestimmt werden soll, veröffentlichen – das heißt: erläutern, über welche Art von Staatsordnung mit „Ja“ oder „Nein“ entschieden werden soll. Ein bloßes Nein zur Islamischen Republik reicht nicht aus. Dieses Nein hat die Mehrheit der Iraner ohnehin schon wiederholt ausgesprochen, selbst bei Wahlen zum Parlament und zur Präsidentschaft.

Eine andere Gruppe von Konstitutionsgegnern sagt: „Wir wollen keine im Ausland zurechtgeschnittenen Führer.“ Sehr gut. Genau das betonen die Konstitutionalisten seit 1979 immer wieder. Aus ebendiesem Grund lehnten sie die „Georgetown-Charta“ ab. So sehr sich die Kritiker auch bemühen, sie können Reza Pahlavi nicht als im Ausland fabrizierten Führer bezeichnen. Er begann den Kampf gegen die Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih), als Präsident Donald Trump gerade erst ins Baugewerbe eingestiegen war und nichts mit Politik zu tun hatte. Zur selben Zeit war Benjamin Netanjahu noch nicht einmal Regierungsangestellter in Israel.

Der Versuch, die Feindschaft zwischen Iran einerseits und den Vereinigten Staaten, Israel sowie vielen anderen Ländern andererseits zu beenden, bedeutet keine Unterwerfung. Die Feindbildpolitik der Herren Chomeini und Chamenei hat unserem Land schweren Schaden zugefügt – ihr ein Ende zu setzen ist eine historische Notwendigkeit.

Natürlich hat jeder das Recht, seinen eigenen Führer und seine eigene Ideologie zu wählen – ein Recht, das im Rahmen der Konstitution garantiert ist, da die Konstitutionalisten niemandem das Streben nach Führung absprechen oder eine bestimmte Gesinnung von vornherein verbieten.

Wenn die Gegner der konstitutionellen Ordnung und der Führung Reza Pahlavis – wenigstens für die Übergangszeit – andere Führungspersönlichkeiten kennen, warum stellen sie diese nicht vor? Das Klischee, die „wirklichen Führer säßen im Gefängnis“, ist nichts als eine Flucht vor Verantwortung. Sagt uns, welchen Gefangenen ihr als Führer anseht und unterstützen wollt. In Südafrika war Nelson Mandela ein inhaftierter Führer, in der Tschechoslowakei Václav Havel.

Wer ist euer Nelson Mandela, wer euer Václav Havel? Die Benennung eines solchen Führers wäre ein Schritt zur Klärung eurer gewünschten Ideologie. Diese Aufklärung würde einen Dialog zwischen eurem bevorzugten Führer und Programm und dem Führer der Konstitutionalisten sowie der konstitutionellen Bewegung ermöglichen – und den Weg zu einer großen nationalen Koalition der Freiheitsfreunde ebnen.

Mit anderen Worten: Seid konstruktiv – denn das wirkliche politische Leben ist kein Schattenspiel.

Amir Taheri, 27.06.2025 in Independent-Persian:
https://www.independentpersian.com/node/415264/%D8%AF%DB%8C%D8%AF%DA%AF%D8%A7%D9%87/%D8%A7%DB%8C%D8%B1%D8%A7%D9%86-%D8%B2%DB%8C%D8%A7%D9%86%E2%80%8C%D9%87%D8%A7%DB%8C-%D9%86%D9%85%D8%A7%DB%8C%D8%B4-%D8%B3%D8%A7%DB%8C%D9%87%E2%80%8C%D9%87%D8%A7

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