Die bisherige deutsche Außenpolitik ist mit dem Überfall auf die Ukraine durch Russland zusammengebrochen. Dieser Überfall wird in Deutschland dennoch bzw. leider noch immer unter veralteten ideologischen Bildern aus dem Kalten Krieg rezipiert. Doch beginnt nun eine Veränderung? Eine Einschätzung von Schoresch Davoodi
Es ist ein Konflikt zwischen Generationen. Viele Menschen in Deutschland möchten wegen der Erfahrung des Kalten Krieges und des Zweiten Weltkrieges, dass Deutschland sich aus bewaffneten Konflikten heraushält. Andere sind sich zwar der historischen Mahnung bewusst, sehen aber gleichzeitig eine sich verändernde sicherheitspolitische Weltlage – in der Deutschland seine Rolle neu definieren muss. Daher ist es an der deutschen Gesellschaft insgesamt, hier Antworten zu finden. Blinde Appeasement-Politik gegenüber Russland, wie es viele sich links-definierende Parteien in Deutschland fordern1, kommt für uns nicht in Frage – die Piratenpartei hat entsprechend auf ihrem jüngsten Parteitag Stellung genommen.
Für uns als Piratenpartei ist es wichtiger denn je, die Debatte um die Zukunft der deutschen Außenpolitik konstruktiv und kritisch zu begleiten. Dazu gehören aber viel mehr politische Felder, als rein die Außenpolitik selbst. Eine Aufarbeitung der deutschen Energiewende wird zum Beispiel notwendig. Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die Rolle fossiler Energieträger, bzw. die Rolle lokal-produzierter Erneuerbarer Energien, im geopolitischen Feld nicht mehr zu übersehen. Die Energiewende muss als gescheitert betrachtet werden. Egal, wie die Forderungen auf dem Papier nach „sauberer Energie“ aussahen: Aus außenpolitischer Sicht ist die deutsche Energiewende de facto eine Zementierung der Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdgas.
Themen müssen über Politikfelder hinaus zusammengedacht werden
Wie sich andere Politikfelder, beispielsweise die Digitalisierung, auf die deutsche Außenpolitik und den Frieden in Europa auswirken sollen und können, müssen wir mit unseren europäischen Partnern konstruktiv diskutieren und gemeinsam europäisch angehen. Die Piratenpartei mit ihren europäischen Schwesterparteien ist hier in einer exzellenten Position. Mit PPEU (European Pirate Party) und PPI (Pirate Parties International) haben wir bereits das internationale Forum, um die unterschiedlichen nationalen Bedürfnisse in ein konsistentes Konzept zusammenzuführen. Bereits in unserem gemeinsamen Europäischen Wahlprogramm von 2019 strebten wir eine Integration der unterschiedlichen EU-weiten Entscheidungsebenen an. Digitale Vernetzung ist entscheidend für diesen Prozess. Im Programm heißt es:
- „Die EU muss dem für sie geltenden Subsidiaritätsprinzip gerecht werden. Entscheidungen sollen nicht auf EU-Ebene getroffen werden, wenn sie besser auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene gefällt werden können. Grundlegende Voraussetzungen für wirklich demokratische Entscheidungen sind ein gleichberechtigter und einfacher Zugang zu allen Informationen und gut informierte Bürger. Politischen Entscheidungen auf der europäischen Ebene müssen europaweite öffentliche Debatten vorausgehen, die es allen ermöglichen, sich angemessen zu beteiligen.“
Um der sich verändernden geopolitischen Weltlage Rechnung zu tragen, müssen wir auch eine breite Debatte über das Thema „Resilienz“ führen. Die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen hat katastrophal aufgezeigt, wie sehr Deutschland und Europa in ihrem außenpolitischen Handeln von einem Kriegsakteur unter Druck gesetzt werden können. Die Piratenpartei hat sich bereits früh damit beschäftigt, wie wir diese Gefahr durch einen Fokus auf Resilienz kritischer Infrastrukturen eindämmen können. In unserem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 schrieben wir entsprechend im außenpolitischen Kapitel:
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„Die Piratenpartei Deutschland setzt sich für eine verbesserte Resilienz auf verschiedenen Ebenen ein. Kritische Infrastrukturen sowie Produktionskapazitäten müssen adäquat abgesichert und redundant vorgehalten werden. Zudem muss ein individuelles und gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein (für) Sicherheit geschaffen und verbessert werden.“
Es wird wichtiger denn je, eine Aufarbeitung und Korrektur in verschiedenen Politikfeldern durchzuführen. Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist eine Zeitenwende. Wir PIRATEN haben hier bereits erste wichtige Schritte getan – umso wichtiger ist es für uns, diese konsequent weiterzugehen und ein tragfähiges politisches Zukunftsmodell zu entwickeln. Gemeinsam mit unseren europäischen und internationalen Schwesterparteien bieten wir ein Forum für gemeinsame Diskussionen, um politische Konzepte auszuarbeiten. Sie sollen unseren Gesellschaften dienen und insbesondere bei der bald anstehenden Europawahl präsentiert werden können.
Für eine Politik frei von ideologischen Scheuklappen
Von großer Wichtigkeit wird auch eine wissenschaftliche Begleitung, um die geopolitischen Implikationen europäischer Politik in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Mit unserer Pirate Security Conference (PSC) gelingt es uns Jahr für Jahr, kompetente Stimmen aus Wissenschaft und Medien aufzunehmen. Als wissenschaftlich orientierte Partei befördern wir PIRATEN die kritische, neutrale und ideologiefreie Begleitung der Politik. So bekennen wir in unserem Grundsatzprogramm unmissverständlich:
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„Wissenschaftliche Erkenntnisse an sich unterliegen keiner ethischen Bewertung, eine Beeinflussung der wissenschaftlichen Entwicklung insbesondere in Form von Einschränkungen und Verboten aus politischen, religiösen oder sonstigen ideologischen Gründen ist deshalb abzulehnen. Konkrete Verfahrensweisen sowie praktische Anwendungen neu gewonnener Erkenntnisse müssen hingegen auf deren Vereinbarkeit mit ethischen und gesellschaftlichen Normen überprüft und bei Notwendigkeit eingeschränkt werden. Eine solche Überprüfung darf sich dabei nicht einseitig auf die möglichen Gefahren und Risiken fokussieren, sondern muss vorrangig den Nutzen sowohl für die Wissenschaft als auch für die Gesellschaft als Ganzes in Betracht ziehen.“
Die Welt ist in Unordnung geraten. Die Ordnung, die wir so lange kannten, verschiebt sich. Darauf müssen wir reagieren, indem wir politische Konzepte entwickeln und diese wissenschaftlich prüfen – auch und insbesondere in der Disziplin der „Internationalen Beziehungen“; Nationale Entscheidungen haben meist eine internationale Konsequenz.
Wir brauchen eine umfassende Korrektur des Status Quo, die viele Politikfelder umfassen wird. Die Piratenpartei Deutschland hat zusammen mit ihren Schwesterparteien bereits viele Vorschläge entwickelt, weitere werden folgen. Wir werden weiter konsequent dafür werben, dass Deutschland und seine Partner Resilienz, sowie eine außen- und sicherheitspolitische Strategie entwickeln, die dem Frieden dient und sich kriegerischen Aggressionen entgegenstellt.
1 Siehe Twitter Thread von Gustav Meibauer, Asst. Prof. in International Relations an der Radboud University vom 1. Juli 2022
https://twitter.com/meibauIR/status/1542935356500320258?s=20&t=_FsfYZuoLyPqo9STnoVIlg
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