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Diskussionsbeitrag zum Stand der Programmarbeit

Realistische und pragmatische Außen- und Sicherheitspolitik in sich verändernden Zeiten

Aufgrund des anstehenden Bundesparteitag möchte ich im folgenden, die programmatische Überarbeitung des Piratengrundsatzprogramms skizzieren, an der die AG Außen- und Sicherheitspolitik derzeit arbeitet. Grundsatzprogramme legen traditionell die Ausrichtung einer Partei für die nächsten 10 bis 20 Jahre fest. Aktuell haben sich die Programme der etablierten Bundestagsparteien seit 10 Jahren nicht verändert, die Weltlage ändert sich aber sehr schnell und dem müssen wir Rechnung tragen.

Entwicklungen in der Außen- und Sicherheitspolitik

Wenn man die aktuelle Weltlage beschreiben will, sehen wir aktuell noch immer eine Entwicklung weg von der Nachkriegsordnung, über das Ende der Geschichte nach Fukuyama, wieder hin zu einer neuen multipolaren Weltordnung, bei der historische Entwicklungen und Prägungen ihre natürliche Fortsetzung finden. Gleichzeitig gibt es einen rasanten technologischen Wandel und den wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg neuer Protagonisten.

Leider ist man sowohl im Außenministerium, als auch in den im Bundestag vertretenen Parteien mental noch im 68er-, 80er- und 90er-Bereich unterwegs. Von außen ist somit leider immer leicht erkennbar, nach welchen Regeln die jeweiligen „Spezialisten“ aus dem Außenministerium spielen. Nun haben wir aber auch aktuell einen radikalen Wandel im Stil der Protagonisten. Man mag sich jetzt vorstellen, wie ein – an einer guten deutschen Universität – in den 68er-, 80er-, 90er Jahren in internationalem Vertragsrecht ausgebildeter „friedfertiger“ Diplomat jemandem gegenübersteht, der sich einen Teil seiner außenpolitischen Ausbildung im Rahmen von Straßenschlägereien erworben hat und dementsprechend agiert, weil für ihn Verträge nur dann gelten, wenn sein Gegenüber diese auch durchsetzen kann. Das mag jetzt etwas überspitzt dargestellt sein, entspricht allerdings der aktuellen Lage.

Wenn man eine multipolare Welt vor Augen hat, muss man sich bewusst machen, dass Deutschland allein -in dieser sich etablierenden Weltordnung- nicht bestehen kann, sondern nur innerhalb eines geeinten Europas. Hier haben Piraten als erste Partei mit einem gemeinsamen europäischen Wahlprogramm und als europäische Bewegung einige Akzente setzen können.

Im Folgenden möchte ich die Ausrichtung und Schwerpunkte der im Sinne der Piratenpartei und den Stand der aktuellen Programmarbeit AG Außen- und Sicherheitspolitik (auch im Hinblick auf die geopolitischen Veränderungen) konkreter skizzieren.

Verteidigungspolitik

Eine wichtige Komponente im sicherheitspolitischen Werkzeugkasten eines Landes stellt die Verteidigungspolitik dar; frei nach Sunzi siegt zwar derjenige wahrhaft, der nicht kämpft, indem er alle Mittel ausgeschöpft, um den Frieden zu wahren und seine Ziele friedlich zu erreichen. Allerdings ist es historisch gesehen günstig, vorbereitet und resilient zu sein. Konkret bedeutet das, dass man die Möglichkeit haben muss zu agieren. Besonders treffend wird das in einem römischen Sprichwort beschrieben, „willst du den Frieden, rüste für den Krieg / Si vis pacem para bellum„. Gerade in unsicheren Zeiten muss man für alle möglichen Eventualitäten vorbereitet sein. Denn um Europa herum hat sich durch geopolitische und wirtschaftliche Veränderungen ein Machtvakuum etabliert; besonders verstärkt durch die derzeitige Unfähigkeit Europas, in seinem Umfeld für Ruhe zu sorgen sowie sich widersprechende nationale Interessen europäischer Länder. Natürlich wollen auch einige nichteuropäische Akteure gerne dieses Machtvakuum füllen und machen dies in einem blutigen Wettstreit untereinander aus. Um sich dieser außenpolitischen Realität stellen zu können, ist daher eine eigene wehrhafte Streitkraft unabdingbar. Hier kommt die beschriebene mentale und Ausbildungs-Herausforderung zum Tragen, der sich der diplomatischen Dienst stellen muss – denn auf die veränderten Rahmenbedingungen ist man nur bedingt vorbereitet.

Wie schon eingangs ausgeführt, ist Europa – wenn es denn mit einer Stimme spricht – ein Pol einer multipolaren Welt. Nur ein freies, geeintes und demokratisches Europa kann die Herausforderungen meistern, die sich in einer Welt im Wandel ergeben.

Besonders bei der Verteidigungspolitik kommt Deutschland als wirtschaftlich stärkste europäische Nation eine Schlüsselposition in einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur zu.

Derzeit kann man den Zustand der europäischen Streitkräfte mit einem Bonsaiwald vergleichen. Die einzelnen Bäume sehen aus wie „richtige“ Bäume und haben alle Merkmale wie die Großen. Hier mag Deutschland zu den größeren Exemplaren gehören, aber: wir haben europaweit 27 mal die selben kleinen und teuren Strukturen. Dazu kommen natürlich noch die Stabstellen, die die Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften auf europäischer und internationaler Ebene sicherstellen sollen, d.h. wir haben gelebte (Extrem-) Bürokratie. Um eine europäische Einigung voranzutreiben, plädieren Piraten schon seit längerem für demokratisch legitimierte gemeinsame europäische Streitkräfte. Das bedingt, dass die derzeit schwache Position des europäischen Parlaments deutlich gestärkt werden muss, um eine Grundlage für demokratisch legitimierte europäische Streitkräfte zu schaffen. Bis dieses Ziel erreicht ist, müssen die deutschen Streitkräfte allerdings in die Lage versetzt werden, Verbündeten beistehen zu können.

Zusätzlich ist es entscheidend für alle europäische Länder, Verständnis und ein Bewusstsein für die jeweiligen Sicherheitsbedürfnisse und Befindlichkeiten zu entwickeln. Wir sitzen in Europa in einem Boot; wenn sich einzelne Länder hier aus innenpolitischen Gründen und mangelndem Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse seiner europäischen Nachbarn absetzen, ist das eher negativ und schadet der gesamten Gemeinschaft.

Für die deutsche Verteidigungspolitik heisst dies: konkrete Zielsetzungen zu formulieren, die Bündnisverpflichtungen erfüllen zu können und den multidimensionalen Herausforderungen begegnen zu können. Mit jeder technologischen Entwicklung kommen neue Dimensionen auf Streitkräfte zu; so haben die USA zuletzt eine neue Teilstreitkraft aufgebaut: eine Spaceforce. Die letzte neue deutsche Teilstreitkraft ist die Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum (CIR). Besonders die Veränderungen  hin zur hybriden Kriegsführung, deren Ansatz multidimensional ist, zeigt auf, dass man hier vorrausschauend Fähigkeiten der Streitkräfte aufbauen muss, um nachhaltig aufgestellt sein zu können.

Resilienz

Die aktuellen geopolitischen Veränderungen und auch Krisen wie die Coronakrise zeigen sehr gut, dass das Thema Resilienz hier sehr wichtig ist. Seit Jahren versucht die Piratenpartei das Thema und den Begriff, der jetzt in aller Munde ist, in die öffentliche Diskussion zu bringen. Konkret fordern wir: kritische Infrastrukturen sowie Produktionskapazitäten adequat abzusichern und redundant vorzuhalten, sowie individuelles und gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein für Sicherheit zu schaffen und zu verbessern.

„Multidimensionale Territoriale Integrität“ & Digitale Waffen

Auch für die Fragen „Multidimensionale Territorial Integrität“ (MTI) und Digitale Waffen haben wir im Sinne der Werte der Piratenpartei programmatische Ansätze formuliert.

Entwicklungszusammenarbeit und internationale Organisationen.

Die bisher im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit formulierten Ansätze und Zielsetzungen,werden aktueller und werden sich im Programmentwurf kaum verändern. Wir fühlen uns in unserer Forderung zu übergreifender Zusammenarbeit und Bündelung von Kompetenzen bestätigt. Als internationale Bewegung wollen wir auch weiterhin internationale Institutionen stärken und sehen Zielsetzungen wie die Milleniumsziele positiv.

Massenvernichtungswaffen

Bezüglich der Thematik Massenvernichtungswaffen besteht Einigkeit, dass die Welt langfristig davon befreit werden soll. Deutschland hat diesbezüglich vertraglich auf alle Anstrengungen verzichtet, sich mit Massenvernichtungswaffen zu bewaffnen. Durch die aktuellen geopolitischen Veränderungen, gibt es allerdings neue Akteure, die nicht an die zwischen den Machtblöcken des kalten Krieges ausgehandelten Verträge gebunden sind. Zudem haben viele Mitgliedsstaaten der europäischen Union andere Befindlichkeiten bezüglich ihrer Sicherheit, als es Deutschland hat. Dies ist aktuell an der Diskussion zur nuklearen Teilhabe exemplarisch zu beobachten.  Unsere Partner fühlen sich von Deutschland in dieser Frage durch die von der SPD-Führung kürzlich initiierte Diskussion zur atomaren Teilhabe im Sinne von „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ alleine gelassen und brüskiert. Dies führt aktuell dazu, die Verlässlichkeit Deutschlands in Frage zu stellen. Da dieses Thema hochbrisant ist und es auch verschiedene programmatische Ansätze gibt, das Thema im neuen Grundsatzprogramm abzubilden, befinden wir uns hier auch noch in der Abstimmung; auch auf europäischer Ebene. Die SPD pflegt anders als die Piratenpartei keinen Austausch mit europäischen Partnerländern sonst wäre ihr dieser Fehler wohl nicht passiert.

Den konkreten Programmentwurf werden wir in Kürze zur Diskussion stellen. Auch wenn wir coronabedingt unseren physischen Parteitag (Familientreffen) verschieben mussten, sind wir schon seit unserer Gründung 2006 geübt in der onlinebasierten Programmarbeit, was Parteien wie die Grünen, SPD, Union ja jetzt erst lernen und mit viel medialem Schaumschlagen verwerten müssen.

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