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Gastbeitrag

Ein Scherbenhaufen? Territorialverteidigung und gesellschaftliche Resilienz in Deutschland

Bundeswehrsoldaten bei einem Staatsakt zu Ehren von Hans-Dietrich Genscher. Foto: boo_ist_online, Pixabay

Ernsthafte, sachgerechte Diskussionen auf dem Themenfeld „Sicherheit & Verteidigung, Landesverteidigung, Bündnisverteidigung, Gesamtverteidigung“ finden in Deutschland trotz eines russischen Angriffskrieges und zahlreicher russischer Drohungen gegen NATO-Staaten – einschließlich Deutschlands – eigentlich nicht statt, findet Peter Hinz. Ein Gastbeitrag.

Über Landesverteidigung muss man sprechen

In den öffentlich zugänglichen Medien sucht man nahezu vergebens nach Hinweisen, dass sich im politischen Raum etwas wirklich zielführendes in dieser Hinsicht tut. Versucht man zu ergründen, warum das so ist, und was sich deutsche Politiker, Spitzenmilitärs, Experten, Journalisten & Interessierte unter dem Eintritt des Falles Landesverteidigung oder Bündnisverteidigung vorstellen, muss man unweigerlich zu folgendem Eindruck gelangen: Der Eintritt des Bündnisfalls gem. Art. 5 NATO-Vertrag scheint in deren Gedankenwelt ein Zustand zu sein, in dem sich die Bundeswehr annähernd komplett in einem fernen Land befindet, das zu verteidigen sei. So wie damals in Afghanistan, als im Rahmen der NATO-Intervention „Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt“ werden sollte. Ansonsten hat Bündnisverteidigung auf das Leben in Deutschland anscheinend überhaupt keine Auswirkungen. Wie komme ich darauf? Weil es nahezu keine Ansätze und keine Vorbereitungen gibt, dass man das eigene Territorium auf selbigem verteidigen können müsste, ganz einfach.
Aber sich hier nicht vorzubereiten ist schon im Ansatz grundfalsch. Warum? Das werde ich im Folgenden versuchen, Ihnen aus dem Blickwinkel eines ehemaligen leitenden Polizeibeamten und ehemaligen Soldaten (des früheren Territorialheeres) und bis vor kurzem aktiven Reservisten der Bundeswehr zu erläutern.

Die Landesverteidigung zählt zur Kernaufgabe des Bundeswehr.
Bild: Daniel6D, Pixabay

Grundlage für meine nachfolgenden Gedanken sind erstens der Umstand, dass die Drohungen aus dem Kreml in Richtung Baltikum massiv zunehmen, und dass das jahrzehntelange zwar rationale, aber auf genau diese jetzige Situation zulaufende Handeln des Diktators Putin inzwischen für jedermann klar erkennbar jede Rationalität verloren hat. Ich selbst gehe davon aus, dass Putin einen Angriff auf ein baltisches NATO-Land befehlen wird. Die Zeichen sind eindeutig.
Zweitens ist es die Tatsache, dass die Diktatur China, selbst Großmacht, sich seit vielen Jahren auf einen Krieg vorbereitet, und zwar auf einen Krieg, den es selbst anzufangen gedenkt. Das ist der einzige Schluss, den die massive Aufrüstung Chinas mit Angriffswaffen und Mitteln zur „Force Projection“, also Machtdemonstration, zulässt, denn China wird tatsächlich von keiner ebenbürtigen Macht militärisch oder anderweitig bedroht.

Zurück nach Europa. Wenn nun aber Landes- und Bündnisverteidigung auf europäischem Boden reale Szenarien geworden sind, warum beschäftigen sich unser Land, die EU & die NATO nicht auf einer realistischen Ebene damit? Warum planen und organisieren sie nicht für diesen Fall? Die Antwort lautet für unser Land: Weil niemand in Politik und Militär damit zu rechnen scheint, dass der Bündnisfall sich über militärische Aktivitäten einer typischen „Etappe“ im Hinterland hinaus auf das deutsche Territorium auswirken würde. Diese Grundannahme ist aber bereits fehlerhaft.

Territoriale Aufgaben im Bündnisfall

Nehmen wir also an, dass der oben genannte Aggressor den Fehler macht, sich an einem NATO-Partner, z.B. im Baltikum, zu vergreifen. Und dass der Bündnisfall eintritt. Dann ist Krieg, mit oder ohne Kernwaffen, aber sehr wahrscheinlich zunächst ohne. Der Aggressor Russland verfügt über ein Militär, das (trotz vieler Schwächen) global in allen Dimensionen agieren kann: Land, Luft, Wasser, Weltraum, Cyber. Was hieße das für Deutschland? Sie erinnern sich: 1234 km von meinem Wohnort im Herzen Deutschlands entfernt ist die ukrainische Grenze. Unsere NATO-Partner in Osteuropa liegen natürlich zumeist noch näher.

Die wahrscheinlichen Auswirkungen auf Deutschland wären also aus meiner Sicht folgende:

  • Sabotage öffentlicher Einrichtungen, Verkehrswege, Versorgungsbetriebe & KRITIS (kritische Infrastruktur) durch hier lebende Kollaborateure, aber auch durch eingesickerte Diversions- & Spezialtruppen
  • Vom Gegner oder seinen fünften Kolonnen organisierte Unruhen, Streiks, Blockaden und sonstige Aktionen, um zu destabilisieren und schwächen
  • Versorgungsengpässe, insbesondere Lebensmittel
  • Ausfall Internet & IT

aber unter Umständen auch:

  • Notwendigkeit der Unterbringung & Bewachung von Kriegsgefangenen
  • Steuerung, Lenkung & Unterbringung von vielen Flüchtlingen, auch von flüchtender einheimischer Bevölkerung (sogenannte Binnenflüchtlinge)
  • Überlastung der Sicherheitsbehörden, Verwaltungen, THW, Feuerwehren & weiterer Blaulichtdienste
  • Dringender Bedarf an schnellem Ersatz oder Reparatur zerstörter Infrastruktur
  • Direkte gezielte oder ungezielte Wirkung gegnerischer Waffen in Stadt & Land
  • Einsatz feindlicher Kräfte unmittelbar im Land.

Die obige Liste ist weder vollständig, noch nach Wahrscheinlichkeiten priorisiert. Mit Stand heute lässt sie sich nicht qualifizieren oder quantifizieren. Wichtig ist alleine: Jeder dieser Punkte hat für sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Der Staat, die Bundesländer, die Kommunen müssen sich auf solche Szenarien vorbereiten. Durch Vorplanen, Vorstrukturieren, Organisieren von Maßnahmen der Gesamtverteidigung, der Territorialverteidigung, des Bevölkerungsschutzes, des Zivilschutzes, usw.

Wie gesagt: Ganzheitlich

Ist irgendwie erkennbar, dass Bund & Länder beginnen, zu planen und zu organisieren? Nein! Stattdessen sind vollkommen absurde und unangemessene Dinge öffentlich wahrnehmbar. Zum Beispiel eine Bundesinnenministerin, die eine unterstellte Behörde (das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK) für die Veröffentlichung von Listen für die Notfallvorsorge rügt, obwohl die private Vorsorge für größere Notfälle neben der öffentlichen Vorsorge eine tragende und wichtige Säule ist.
Oder Politiker, die sich trotz anderslautender Empfehlungen und Hinweisen von Fachleuten massiv gegen eine Reaktivierung der ruhenden Wehrpflicht, oder die umfassende Neukonstruktion einer nationalen Dienstpflicht für alle aussprechen.
Abwiegeln und herunterspielen sind gerade wieder groß im Kurs, aber realistisch betrachtet vollkommen unangebracht. Das klappt im tiefsten Frieden gut, oder solange nichts Dramatisches geschieht. Aber dann kommen eine Pandemie, ein extremes Hochwasserereignis, ein Krieg und erteilen schmerzhafte Lehren.

Zurück zum eigentlichen Thema, der Landes- und Bündnisverteidigung (kurz LVBV): Wir benötigen für diesen (nun wieder wahrscheinlichen) Fall etwas, das vor Jahrzehnten der Friedensdividende – oder besser gesagt, den Rotstiften einer unrealistischen, verträumt-romantischen Politik – zum Opfer gefallen ist. Wir brauchen wieder, analog zu unseren skandinavischen & osteuropäischen Partnern, eine Landes- und Territorialverteidigung, die diesen Namen auch wirklich verdient. Das wäre zum einen ein „Territorialheer 3.0“, aber auch die entsprechenden Verbände für die Dimensionen See, Luft, Cyber und Sanitätswesen.
Mit deren Aufbau sollte schnellstmöglich begonnen werden. Mit einer Handvoll Heimatschutzregimentern (überwiegend ohne sofort verfügbare, eingelagerte Waffen, Munition, Kfz und alles weitere Material!) sind solche Szenarien und Aufgabenstellungen wie oben genannt nämlich nicht zu stemmen. Wir brauchen fast alle Waffengattungen dafür. Und Stützpunkte. Und wir brauchen Soldaten. Eine Miliz – also beorderte Reservisten, wie man in Deutschland sagt. Sehr viele. Und Menschen, die sich ihr ganzes Leben lang im Zivil-, Bevölkerungs-, Katastrophenschutz und anderen Blaulichtdiensten zu engagieren bereit sind.

Reservisten der Heimatschutztruppe üben 1988 mit amerikanischen GIs. Bild: Koalorka, Wikipedia

Das ist eine Herkulesaufgabe. Aber seien wir ehrlich und realistisch, und das auf historischer Grundlage: Deutschland hat auf militärischem Gebiet schon viel Unmöglicheres geleistet. Ich erinnere hier nur an den Aufbau der Bundeswehr mit Streitkräften und Verwaltung ab den 1950er Jahren, bei einer größtenteils wehrunwilligen Bevölkerung, bis hin zu einer Stärke von 495.000 Soldaten plus Zivilbedienstete plus einer riesigen, bis in die letzte Sicherungskompanie durchorganisierten Reserve! Plus Hunderttausende, die sich im Technischen Hilfswerk (THW) und anderen Katastrophenschutz- und Blaulichtorganisationen verpflichtet hatten.
Für diese Herkulesaufgabe darf kein Thema ausgeschlossen werden, darf kein Diskussionsbeitrag mit Begründungen wie „die Wehrpflicht ist toter als tot“ oder als „Träume kalter Krieger“ beiseitegeschoben werden. Dazu ist das alles viel zu ernst & viel zu wenig unwahrscheinlich. Deswegen ist es JETZT an der Zeit, dass Politik und Gesellschaft in die Diskussion über eine Strategie der Gesamtverteidigung – anderswo auch „Total Defence“ genannt – eintreten.
Mit Schweden und Finnland kommen demnächst zwei sehr starke Partner ins NATO-Bündnis, von denen Deutschland, die EU und die NATO in Bezug auf Gesamtverteidigung bzw. Totalverteidigung sehr viel lernen können.

Dienstpflicht und gesellschaftliche Sensibilisierung

Wo sollen nun die ganzen Menschen jeden Alters herkommen, um die Bundeswehr, das THW, die Polizeien, die anderen verteidigungswichtigen Blaulichtorganisationen, ein eventuelles Zivilschutzkorps, das Gesundheitswesen usw. in einem Spannungs- oder Verteidigungsfall hochzufahren?

Natürlich über eine Wehrpflicht oder eine Dienstpflicht für Alle. In einem solchen Fall müssten Bundeswehr und die oben genannten Organisationen (natürlich nach Erforderlichkeit abgestuft) innerhalb weniger Tage auf mehrere Hunderttausend Menschen hochgefahren werden. Beileibe nicht nur junge Menschen, die von älteren „Boomern“ verheizt werden, wie manche unterstellen. Nein, eine staatliche Wehr- oder Ersatzdienstpflicht gilt fast lebenslang, und sie umfasst mehr als nur den Grundwehrdienst. Unsere (derzeit inaktive) Wehrpflicht ging z.B. bis zum 60. Lebensjahr, und viele wehrpflichtige Reservisten haben über Jahrzehnte ihren Dienst geleistet, bis sie aus Altersgründen mit 65 ausgeplant wurden. In heutigen Zeiten, in denen sehr viele Menschen in gesundem, fittem Zustand sehr alt werden, sollte man tatsächlich über eine Erweiterung des Altersspielraums nach oben nachdenken, über das für Reservisten heute bereits freiwillig mögliche 65. Lebensjahr hinaus.

Die behelfsmäßig errichteten Pontonbrücken der Bundeswehr werden im Einsatz sowie Katastrophenschutz benötigt.
Bild: SimoneVomFeld, Pixabay

Es ist aber nicht meine eigentliche Absicht, hier mögliche zeitgemäße, moderne Formen einer Wehr- und Dienstpflicht aufzuzeigen, die sowohl einer zu entwickelnden Strategie der Gesamtverteidigung, als auch der Lebenswirklichkeit der Menschen entgegenkommt. Das ist nur eine Begleiterscheinung meines Themas. Jedoch möchte ich darauf hinweisen, dass trotz attraktiver Beschäftigungsmodelle und Laufbahnangebote weder die Bundeswehr, noch die Polizeien oder andere öffentliche Dienstherren in der Lage sind, ihren Personalbedarf zu decken. Diese Zeiten sind vorbei, wir erleben derzeit einen „Arbeitnehmer-Arbeitsmarkt“, auf dem die meisten gut ausbildeten Menschen sich bei entsprechender Mobilität/Flexibilität ihren Platz suchen können, ohne zu halbherzigen Entscheidungen gezwungen zu sein.

Die Vorstellung, es werde auf absehbare Zeit durch irgendwelche besonders attraktiven Angebote wieder genügend Bewerberinnen und Bewerber für die Bundeswehr (egal ob aktiv oder Reserve) oder andere sicherheitsrelevanten Bereiche im öffentlichen Dienst geben, kann man als reine Träumerei abschreiben. Das wird in den kommenden Jahrzehnten nicht der Fall sein, da sprechen alle sozialen Daten (und gar bisherige Erfahrungen aus Zeiten mit höherer Arbeitslosigkeit!) dagegen.

Auch das Argument „wir brauchen in erster Linie hochkarätige Spezialisten“ ist an den Haaren herbeigezogen. Wir brauchen in erster Linie eine große Anzahl an Soldaten (aktiv & Miliz), für deren Ausbildung sechs Monate plus regelmäßiges Training zumeist vollkommen ausreichend wären (und früher schon einmal waren). Armeen mit Wehrpflicht und starker Milizkomponente zeigen uns, dass es geht. Warum sollten deutsche Soldaten weniger qualifiziert sein, als z.B. ihre österreichischen oder schweizer Kameraden?

Fazit: Alle politischen Ebenen müssen sich mit dem Thema „Gesamtverteidigung und gesellschaftliche Resilienz“ zielführend beschäftigen und die dazu erforderlichen Diskussionen in den Parlamenten und mit den Menschen beginnen. Und zwar jetzt. Die Weltlage lässt eine weitere Prokrastination nicht zu. Wir sehen es ostwärts von uns: Es ist bereits Zwölf.

Über den Autor: Peter Hinz ist Jahrgang 1956, Dipl-Verwaltungsbetriebswirt (FH) und Absolvent der ehem. Polizeiführungsakademie (heute Dt. Hochschule der Polizei). In seiner 32-jährigen Polizeidienstzeit hatte er verschiedene Führungs- und Stabsverwendungen inne, u.a. solche mit Bezug zur Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ). Vor seinem Polizeiberuf war er 12 Jahre Soldat, überwiegend im Territorialheer. Er war bis zum Erreichen der Altersgrenze (65) für Reservisten in einem Landeskommando auf dem Gebiet der ZMZ beordert und leistete regelmäßige Reservistendienste.

6 Kommentare zu “Ein Scherbenhaufen? Territorialverteidigung und gesellschaftliche Resilienz in Deutschland

  1. Jürgen Christiansen

    Herzlichen Dank Herr Hinz, daß Sie sich nicht nur diese Gedanken machten, sondern Sie öffentlich machten. Ähnliche Vorschläge machte ich schon vor Jahrzehnten, als die FDP die Wehrpflicht kippen wollte. Das es zur Abschaffung durch die CDI kam konnte ich mir damals nicht vorstellen. Wir Altresis wissen, alles was Sie beschreiben war da. Die Vernichtung von Bundeseigentum in Form von Gerät und Fahrzeugen war Sabotage und Whrkraftzersetzung und sollte heute noch belangt werden. Nach 2955 warnen wir in der Lage, trotz Widerstand gegen Wiedereröffnung, 12 Divisionen aufzustellen. Heute 12 Jahre für 1 Div und 200 Mrd für eine Zeitenwende. Das Problem ist nicht das Material, haben wir beim Aufbau auch als „Leihgabe“ aus USA und England bekommen. Ihre Aussage zum Personal kann ich bestätigen. Ohne Wehr- und Ersatzdienst, in welcher Form auch immer, wird es nichts. Da nützen auch 200 Mrd nichts. Wo bleiben seit Jahrzehnten die Stimmen aus dem Heer der Ex Generalität und Admiralität, die nicht wie so mancher Aktiver in den ‚Ruhestand‘ entsorgt werden können. Weiterhin viel Erfolg beim Verbreiten Ihrer Thesen Gruß Jürgen Christiansen Fw d.R. und Herr über 65

    • Peter Hinz

      Lieber Kamerad Christiansen,
      danke für Ihren Zuspruch. Wie Sie merken, brenne ich für das Thema „Territorialverteidigung“, mit großer Leidenschaft. Wehrpflicht oder Dienstpflicht sind eigentlich nur Nebenschauplätze meines Themas, obgleich ich sie sehr befürworte. Meine große militärische Leidenschaft gilt jedoch dem Neu-Aufbau einer Territorialverteidigung auf der Basis einer starken Reserve. Also das, was man in Österreich oder der Schweiz als „Miliz“ bezeichnet. Sollte der Bund brilliante Ideen finden, wie man Hundertausende geeignete Menschen für den Heimatschutz auf freiwilliger Basis begeistern kann, fände ich das gut. Ich habe aber bei diesem Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt meine Zweifel. Es gibt jetzt schon eine so reichhaltige Angebotspalette, von der Reservistenausbildung für Ungediente, von FWDL über SaZ bis zum BS, die nicht die erhofften Ergebnisse erzielen. Kaum vorstellbar, dass jemand im BMVg oder im BAPersBw jetzt noch ein Format entwickelt, mit dem man, wie gesagt, Hunderttausende vom freiwilligen Dienst in einer strukturierten „Miliz“ überzeugen könnte.
      Dann also eine Neuauflage der Wehrpflicht, oder eine Dienstpflicht für Alle (m/w/d). Wird ja schon lange drüber gesprochen, auch das ein Thema, was auf die lange Bank geschoben wird. In meinen Augen unverzeihlich angesichts der europäischen Sicherheitslage.
      Ich danke Ihnen nochmals! (Bin übrigens auch schon Ü65)
      Alles Gute & kameradschaftliche Grüße
      Peter Hinz, HptBtsm d.R.

  2. Carsten Gösch

    Hmmm, und soetwas findet man dann bei den „Piraten“.

    Dass diese vermeintlichen „Anarchos“ hier so etwas Staatstragendes und Vernünftiges veröffentlichen überrascht mich.

    Aber zu meinem Kommentar:

    Als ich nach dem Abitur in 1995 sagte, dass ich vor habe meine Wehrpflicht zu erfüllen und nicht verweigern wolle, hat in meinem schulischen Umfeld für sehr viel erstaunen gesorgt. Gefühlt haben von ca. 40 „Mann“ im Jahrgang 39 verweigert. In der Grundi waren wir 2 Abiturienten in 3 Zügen.

    Der Eindruck war schon damals: „Wer schlau genug dazu ist, der verweigert. Ist ja eh Zeitverschwendung“.

    Ich meinte damals, wenn es zu einer Situation kommt, in der Deutschland angegriffen wird, will ich in der Lage sein zur Verteidigung meiner Familie beizutragen. Als ich vor wenigen Jahren mit über 40 das erste Mal Vater wurde, habe ich mich daran erinnert und kann das heute um so mehr unterstreichen.

    Ich bin damals nach der Zeit als GWDL noch zwei Monate länger geblieben und habe die Zeit bis zum Eintritt ins Berufsleben überbrückt, bin aber nie förmlich beordert worden.

    Ich habe in den folgenden Jahren im Katastrophenschutz viele Lehrgänge besucht, an Übungen teilgenommen und durfte im letzten Jahr einen Zug des Katastrophenschutzes im Einsatz beim Starkregen „Bernd“ führen.

    Mit tun diejenigen leid, die heute all dies nicht haben dürfen, weil sie in purer Selbsterfüllung und Selbstbestimmung niemals erfahren, wie es ist für andere da zu sein oder für andere einzustehen. Kameradschaft ist nicht nur ein Wort!

    Seit drei Jahren betreue ich 2 Stellen im Bundesfreiwilligendienst als Anleiter und bin im Beruf auch seit Jahren als Ausbilder tätig.

    Die jungen Menschen mit 17-19 Jahren sind heute vielfach lebensunfähig und müssen für die kleinsten Arbeiten „an die Hand“ genommen werden.

    Insofern ist die Welt heute einfach eine andere als vor 25 oder 30 Jahren, aber auch heute gibt es Die, die sich engagieren wollen. Diese zu finden und zu motivieren muss ein gesellschaftliches Ziel sein. Sich zu engagieren muss honoriert werden. Da dies aber alles nicht flächendeckend und strukturiert funktioniert, brauchen wir wohl eine allgemeine Dienstpflicht, damit sich sowas wieder entwickelt.

    Sich für andere einzusetzen und zu engagieren muss etwas bedeuten!

  3. Norbert Wilkens

    Guten Abend Herr Hinz,

    ich bin durch Recherche nach ‚Territorialverteidigung‘ auf ihren Beitrag gestoßen. Schade, dass ich sie nur über die Kommentarfunktion anschreiben kann, aber besser als nichts.

    Ich habe keinen militärischen Hintergrund, aber ich habe mich schon vielfältig gemeinnützig und ehrenamtlich engagiert. Doch das hält mich nicht davon ab mir genau dieselben Gedanken zu machen, denn ich sehe ebenso wie sie ein erhebliches Defizit was die Selbstverteidigungskapazitäten hier in Deutschland angeht. Angesichts der Tatsache, dass andere Staaten – und hierbei insbesondere die Ukraine – sehr effektive und umfangreiche Territorialverteidigungskräfte aufgebaut haben, besteht bei uns in dieser Hinsicht dringendster Handlungsbedarf.

    Trotz der aktuellen Umstände, die wir alle so nicht erwartet hätten, sollte der Blick nach vorne gerichtet sein. Momentan kann man von günstigen Voraussetzungen und dem erforderlichen Druck sprechen um Territorialverteidigungskräfte aufzubauen. Leider geht es wohl nicht ohne diesen Druck in Deutschland.

    Die Frage ist daher meiner Ansicht nach nicht ob, sondern wie man solche Territorialverteidigungskräfte aufbauen kann. In möglichst kurzer Zeit und mit einem maximalen Verhältnis zwischen Einsatz und Ergebnis. Haben sie – als militärischer Experte – konkrete Umsetzungsideen?

    Meine Idee wäre beispielsweise Ausbildungsphasen in verschiedene thematische Blöcke aufzuteilen, die zeitlich bewältigbar sind. Machen wir uns nichts vor, die Wiedereinführung bzw. Reaktivierung der Wehrpflicht werden sie und ich nicht mehr erleben. Aber mehrere 6-Wochen-Kurse in Theorie und Praxis auf hervorragendem Niveau würde ich absolvieren. Denken sie bitte an alle die einen Vollzeit-Job haben. Denen müsste man es auch durch politische Weichenstellung ermöglichen etwas für ihr Land zu tun (durch Freistellungen usw.). Das personelle Potenzial bei jungen Leuten bis 30 ist einfach zu gering. Ich bin topfit und Ü60, aber es wäre schön wenn nicht nur meine ‚Boomer‘-Generation, sondern alle Interessierten teilnehmen könnten.

    Sehr wichtig wäre auch die Vermittlung der Botschaft. Da könnte ich mir als Arbeits- und Organisationspsychologe einige Möglichkeiten vorstellen. Im Prinzip geht es genau darum wie Herr Gösch meinte – die direkte Assoziation von Verteidigung und Familie.

    Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit ihrem Anliegen.

    Viele Grüße,
    Norbert Wilkens

    • Hallo,

      wir sehen es nicht für unmöglich an, daß der Wehrdienst in Form einer Dienstpflicht wieder eingeführt wird, wobei nach Kontingenten ein hohes Maß an Wahlmöglichkeiten geboten wird. Per Grundgesetz dürfen Frauen „nicht zum Dienst an der Waffe gezwungen werden“; das bedeutete aber nur einen Anspruch auf eine Stelle außerhalb von Bundeswehr oder Freiwilligem Polizeidienst.

      Es ist auch wünschenswert, die Dienstpflicht wieder an geleisteten Stunden zu bemessen; so kann z.B. ein Rettungssanitäter, der häufig lange Schichten hat, früher eintlassen werden als jemand, der einen deutlich weniger zeitintensiven Dienst leistet.

      Eine Verpflichtung in mehreren Blöcken – mW bietet die Schweiz das schon an – ist sicherlich auch eine denkbare Lösung.

      Es ist jedoch klargeworden, daß ein reines Berufsheer keine Lösung ist. Ebenso ist ein Wehrdienst nach Vorbild vieler Autokratien, in dem die Wehrdienstleistenden schlecht ausgebildet werden, ausgeschlossen.

      Welche Forderungen am Ende von der Gesamtpartei erhoben werden, und wie die Diskussion über die Dienstpflicht weitergeht, ist dabei natürlich offen.

      Viele Grüße,
      Dingo

    • Lieber Herr Wilkens,

      vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Sie geben mir gleich einige passende Vorlagen, um Ihnen zu antworten!

      Lassen Sie mich gleich mit dem Elefanten im Raum beginnen: Wehrpflicht bzw. Dienstpflicht. Dass ich ein Befürworter bin, muss ich wahrscheinlich nicht extra erwähnen. Aber auch ich rechne in meiner verbleibenden Lebenszeit (ich bin 66) nicht damit, dass in dieser Hinsicht noch etwas passieren wird. Die Politik hat weder Kraft noch Mut, das Thema ernsthaft anzugehen. Es sei denn, die Umstände zwingt sie dazu, aber dann ist es für einen strukturierten Aufbau in Ruhe zu spät.

      Unser altes Europa wird, unabhängig von dem, was wir mit Russland und China noch erleben werden, auch sonst in puncto äußere Sicherheit in den kommenden Jahrzehnten größere Herausforderungen erleben. Da will ich jetzt nicht näher drauf eingehen, weil das nicht das Kernthema ist, aber das ist halt meine „Lagebeurteilung“ und darauf gründe ich meine Thesen.

      Was die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Territorialverteidigung angeht, da sind wir dicht beieinander. Der Aufbau einer solchen Organisation würde fünf bis zehn Jahre dauern. Je früher wir mit dem Aufbau anfangen, umso früher steht das neue Territorialheer. Würde man erst dann mit dem Aufbau beginnen, wenn der Bedarf (eine Bedrohungslage) erkennbar ist, wäre es zu spät. Mit der Unschärfe bei der Prognose muss man leben, das war im Kalten Krieg nicht anders. Niemand weiß, wie die Sicherheitslage in zehn Jahren aussieht. Aber es wäre fatal und nachlässig, sich nicht wenigstens auf ein Mindestmaß an Worst Case Szenarien vorzubereiten. Andererseits gibt es den alten Grundsatz „haben ist besser als brauchen“. Auch ohne Überfall auf Deutschland oder ein anderes NATO-Land wird es genügend Einsätze fürs Territorialheer geben, das haben die vergangenen zweieinhalb Jahre gezeigt.

      Meine Idee für die Organisation wäre, in Anlehnung an das, was andere Länder auf dem Gebiet machen, in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt ein territoriales Bataillon (TerrBtl) zu stationieren. Das wären bundesweit 400 solche Verbände. Die Größe und die Zusammensetzung der TerrBtl hinge von einer eingehenden militärischen Bedarfsanalyse für die jeweilige Stadt / den Landkreis ab. Also zum Beispiel: Einwohnerzahl, Anzahl der Kommunen, Topografie, Geographie, Anzahl und Lozierung kritischer & zu schützender Infrastrukturen (KRITIS) usw.

      Das könnte für kleinere, ländliche Gebietskörperschaften ohne nennenswerte KRITIS bedeuten, dass dort vielleicht ein Verband mit nur zwei Kompanien stationiert wird, also ca. 220 SoldatInnen, oder vielleicht sogar nur eine einzige Kompanie. Alleine das wäre schon mehr als wir heute haben, mit den Heimatschutzkompanien.

      Auf der anderen Seite der Messlatte kämen größere Personenzahlen und Einheiten dabei heraus, also vielleicht ein Verband mit 1000 SoldatInnen oder mehr für eine bedeutende Großstadt. Wie gesagt, das hängt von einer genauen Betrachtung der jeweiligen Bedarfslage ab, denn die Ressourcen (die Reservistinnen und Reservisten) sind extrem begrenzt. Ich rechne damit, über den Daumen betrachtet, dass man bei einer Gesamtzahl von 120.000 bis 160.000 Reservistinnen und Reservisten in der Territorialen Verteidigung landen würde.

      Die regionalen Verbände sind modular mit einem Mix an Fähigkeiten ausgestattet, damit sie an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden können. Basis ist die Ausbildung zum Sicherungssoldaten, also die ganz grundlegende infanteristische Befähigung, auf der baut alles weitere auf. In meiner Vorstellung sind die TerrBtl der Kern von regionalen Sicherheitsinseln, ein bißchen ans österreichische Modell angelehnt. Die TerrBtl sind voll ausgestattet, d.h. Waffen & Ausrüstung sind in einer Art Kaserne eingelagert. Jede/r territoriale SoldatIn hat in der Organisation seinen/ihren festen Platz. Die Verbände sind autarkie- und autonomiebefähigt, d.h. sie sind in der Lage, auch bei Blackout und Kommunikationsausfall nach oben und zu den Nachbarn ihren Auftrag zu erfüllen. Das wäre mein Wunschtraum.

      Auf der Personalseite stelle ich mir vor, dass man für die Freiwilligen, die in der Territorialverteidigung dienen, den Reservistenstatus aktualisiert. Ich würde z.B. das Wehrpflichtgesetz in den Teilen reaktivieren, die sich auf beorderte Reservisten beziehen, damit die SoldatInnen nicht bei jeder Fortbildung oder bei Alarmübungen beim Arbeitgeber betteln müssen. Das hieße, analog zu den freiwilligen Feuerwehren, dem THW und anderen freiwilligen Blaulichtern, dass die Arbeitgeber freistellen MÜSSEN und dafür entschädigt werden. Parallel dazu müssen eine intensive, zeilgruppengenaue Personalwerbung und gute Anreize fürs Mitmachen geboten werden. Es muss attraktiv & cool sein, in der Territorialen Verteidigung zu dienen. Das heißt ganz klar, bei den Dienstverhältnissen und in der Werbung vollkommen neue Wege zu gehen! Letztlich bedeutet das aber auch, dass das neue Territorialheer eine neue Führungskultur braucht. Aber da sind wir Reservistinnen und Reservisten bereits erfahren, der Umgang der aktiven & freiwilligen Reservisten miteinander ist schon seit Jahrzehnten ein ganz besonderer. Er entspricht dem, was man auch in den freiwilligen Feuerwehren oder im THW vorfindet, und das ist gut so.

      Für die Ausbildung der ungedienten SoldatInnen gibt es bereits ein gutes Vorbild. Die Bundeswehr hat mit ihrer modularen Ausbildung für Ungediente, die anschließend in die Heimatschutzkompanien übernommen werden, bereits einen neuen und, wie mir scheint, praktikablen Weg gewählt. Der ist ganz besonders auf die Rahmenbedingungen Berufstätiger abgestimmt. Mein Wunsch wäre es, die Altersgrenze für Reservistinnen und Reservisten zu kippen. Die liegt derzeit bei 65 Jahren, das ist nicht mehr zeitgemäß. Das THW hat bereits die Altersgrenze durch die Dienstfähigkeit ersetzt. Dort gibt es Kameradinnen und Kameraden Ü70, die auch noch körperlich anspruchsvollen Dienst leisten. Auch in der Territorial Defence Force der Ukraine sieht man diese Altersklasse, und ich wüsste auch nicht, warum das bei uns nicht funktionieren sollte. Wir brauchen in der Territorialverteidigung nicht nur den Soldaten mit Fallschirmjägerpotential, sondern körperlich belastbare, seelisch stabile und ausreichend kluge Menschen für den Schutz der Heimat und des potentiellen „Hinterlandes“. Die nachwachsenden Jungen sind viel zu wenige, und es wäre auch ungerecht, alles auf die jüngere Generation abzustützen. Aber in der „demographischen Oberklasse“ gibt es sehr Viele, die bereit sind, sich einzubringen. Und die das körperlich & geistig auch könnten! Die sollte man nutzen.

      Das ist jetzt eine Menge Holz, die ich Ihnen hingestellt habe. Das ist noch nicht mal alles, was mir in meinem Kopf zu meinem Lieblingsthema „Territorialheer 3.0“ herumschwirrt, aber lassen wir es für heute mal dabei. Ich würde mich freuen, wenn wir in Kontakt bleiben. Dem Admin der Seite erlaube ich gerne, Ihnen meine eMail-Adresse zu geben.

      Viele Grüße, Ihr

      Peter Hinz

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