Deutschland in Zeiten der Corona-Pandemie kommt einem von außen betrachtet wie ein Land vor, das gleichzeitig still steht und im Umbruch ist. Dieser erste Eindruck täuscht jedoch.
Tatsächlich kommen jetzt nur Probleme beziehungsweise gesellschaftliche Herausforderungen zum Vorschein, die auch zuvor schon vorhanden waren, aber erst durch die Krise wieder relevanter wurden. Die Diskussionen, bisher nur angerissen, werden besonders in Deutschland medial recht schrill geführt. Es wird kaum reflektiert oder sachlich debattiert. Und diese Herausforderungen brechen nun mit voller Wucht auf uns herein.
Was sind das für Probleme? Nehmen wir den den „Pisa-Schock“ aus dem Jahr 2000: In Konsequenz wurde das Bildungswesen umgekrempelt. Propagiert wurde das reine Wiedergeben von Fakten. Das sollte die Grundlage werden, um den jeweiligen Wissensstand objektiv vergleichen zu können. Der unschöne Nebeneffekt dieser „Reform“ war, dass quasi eine ganze Generation Fakten lernte, aber nicht mehr in der Lage war, diese Fakten entsprechend der jeweiligen Situation kritisch zu bewerten und einzuordnen. Viel Wissen traf auf die Unfähigkeit, politische Manipulation zu erkennen. Mit der Folge, dass viele jungen Menschen leichter Opfer des sogenannten „Framings“ werden konnten. Kritik an der Bildungspolitik nach Pisa kam in den Jahren danach immer wieder auf, wie man an Beispielen sehen kann, doch sie griff zu kurz:
* In der FAZ 2012,1
* 2014 in einem Meinungsartikel der Community im Freitag,2
* Beitrag von 2019 von Henryk M. Broder in der Schweizer Weltwoche, der die Reaktionen um Greta Thunberg und Fridays for Future, unter diesem Aspekt bewertet hatte.3
Beklagt wurden die Symptome, eine infantiliserte Gesellschaft, die Ursachen des Problems wurden jedoch ausgeklammert.
Warum war das so? Die Ursache liegt im Zeitgeist, politisch, kulturell und wissenschaftlich. Die deutsche Politik ab 2014 wurde von zwei gegensätzlichen Seiten geprägt. Auf der einen Seite das „Primat der Gelassenheit“ der Großen Koalition, auf der anderen Seite die schrillen Aktionen der Opposition, gekonnt die Dynamik der Sozialen Medien ausnutzend, um der Politik ihren eigenen Stempel aufzudrücken.
Mit dem wachsenden Druck in den sozialen Medien hat sich auch die Medienlandschaft verändert und mit ihr die Akteure. Gerade in der jüngeren Generation und vor allem in Berlin kam es zu einem Mediendiskurs, der den Anschein hatte, sich in weiten Teilen nur noch um die Selbstdarstellung zu drehen. Fragen, wie sich der Journalist als solcher präsentiert muss, um die Quote zu erfüllen, Preise einzuheimsen oder mehr Sicherheit durch Relevanz im Job zu bekommen. Je stimmiger in sich das „Produkt“ oder „der Content“, desto eher gibt es einen Award und letztlich auch finanzielle Sicherheit. Komplexität erklären zu müssen, Hintergründe darzustellen, alles das war manchmal nur störend und in gewisser Weise für die Karriere gefährlich. Der Skandal um Claas Relotius Ende 2018 rückte dieses Phänomen erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Gesellschaft warf einen Blick auf Entwicklungen in den Medien.4
Und was hat das mit der Coronakrise zu tun? Was lernen wir dieses Mal? Die Krise hat gezeigt, dass „der Abgesang“ auf Deutschland und die aktuelle Regierung zu früh prophezeit wurde. Jacques Schuster war es, Chef-Kommentator bei der Welt, der mit Blick auf unsere Partner in der EU das Handeln der Bundesregierung lobte und doch auch mahnte, weiter wachsam zu sein.5 Zu Recht. Oder der ehemalige Chefredakteur der taz, Georg Löwisch: Er erkannte bereits im Juni 2019, dass die Grünen nicht krisenfest sind.6 Und tatsächlich – mit Corona ist die „Grüne Welle“, der Lauf der Grünen, gebrochen. Daneben bietet die Coronakrise eine Chance für Gesellschaft und Politik. Man könnte sie als Chance für den so bitter nötigen Kurswechsel begreifen und mit frischem Schwung an die Aufgaben und Herausforderungen gehen, die nicht nur schon da sind, sondern auch in Zukunft auf uns zukommen werden.
Resilienz ist das Thema der Zukunft in Deutschland und Europa
Das Jahr 2020 zeigt also mit voller Wucht die Folgen fehlerhafter Entwicklungen auf. Uns wird klar vor Augen geführt, welche Probleme wir über viele Jahre hinweg ignoriert haben. 2020 sehen wir Entwicklungen, die sich seit Anfang 2019 abgezeichnet haben. Viele Schwachstellen, die man ignoriert hatte, treten nun ans Tageslicht.
Kommen wir zur Wirtschaft. Unsere Wirtschaft, die entgegen aller Warnungen weiter stark auf den Export ausgerichtet blieb, ist besonders anfällig für externe Schocks. Vor der Pandemie schafften es Nachrichtenartikel zu diesem Thema kaum in das Bewusstsein der breiten (medialen) Öffentlichkeit. Auch die (digitale) Infrastruktur kann mit dem schnellen Wandel nur schwer umgehen. Unsere Gesellschaft ist nicht resilient gegenüber externen Schocks.
Thematisch wurde der Begriff Resilienz, entlehnt aus der Soziologie, mit der Pirate Security Conference 2018 in die Debatte in Deutschland eingebracht. Damals ging es um Fake-News und Infowar.
Die Corona-Pandemie wird das Thema Resilienz und die Frage nach der sozialen Sicherheit weiter in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Ebenso wird der Druck größer werden, dass Deutschland sich verstärkt digitalisiert. Damit muss auch die digitale Sicherheit mehr ins öffentliche Bewusstsein treten.
Je mehr unsere Gesellschaft gezwungen sein wird, neue Wege und Möglichkeiten für diese Herausforderungen zu finden, desto mehr wird es darum gehen, dass diese Lösungen in ihrer Anwendung sicherer werden. Schwachstellen (in einem Land) können leicht ausgenutzt werden. Wie, das kann man etwa bei unserem europäischen Nachbarn Tschechien beobachten.
Die tschechische Hauptstadt Prag hat mit Zdeněk Hřib einen Oberbürgermeister der Piratenpartei. Er und seine Parteifreunde aus dem Parlament setzen sich beispielsweise stark für die Rechte Tibets und Taiwans ein.
Die kritische Position der Prager Stadtregierung gegenüber China ist wichtig für Tschechien und auch für Europa als Ganzes.
Wie mit China umgehen? In Zeiten von Corona, wo China etwa zur Bekämpfung der Pandemie öffentlichkeitswirksam europäischen Ländern Hilfe anbietet, kann Europa von Hřib lernen, wachsam zu sein. Wie er es auch in einem Artikel in der Zeitung „Die Welt“ im Januar 2020 schon dargestellt hat.7 Damit China nicht durch solche Hilfsaktionen später Einfluss auf so kritische Infrastrukturen wie die Krankenversorgung erlangt, muss politisch richtig agiert werden. Und hier kann das Vorgehen der Prager Stadtregierung, die Beeinflussungen von China abwehrte, ein Vorbild sein.8
Es ist ein China, das im Sinne hegemonialer Politik versucht, Europa zu spalten und zu schwächen.
Doch Tschechien ist in Europa nicht nur politisch und sozial, sondern auch digital ein Hotspot. Umso wichtiger ist es, von den Erfahrungen des Nachbarn zu lernen, wie man sich gegen Fake-News und externe Einflussnahme wehrt. Mit Praxis-Erfahrungen die Resilienz einer demokratischen Gesellschaft stärken.
Ivan Bartoš, Parteivorsitzender der tschechischen Piratenpartei und Abgeordneter des tschechischen Parlaments, hatte 2018 in einem Vortrag auf der besagten „Pirate Security Conference“ zu Fake-News und der Stärkung der Resilienz referiert. Er berichtete über die Erfahrungen, welche die tschechische Piratenpartei im Rahmen des Wahlkampfs für die Parlamentswahl in Tschechien gemacht hatten.9 Der staatliche Prager Flughafen musste erst vor kurzem, am 18. April 2020, einen Cyberangriff abwehren. Die tschechischen Behörden warnen zudem gerade jetzt vor Hacking-Angriffen, besonders auf Gesundheitseinrichtungen.10
Die Pandemie und die daraus resultierende globale Krise zeigt uns also mehr denn je, wie verwundbar Demokratien sein können. Und wie einfach es ist, demokratische Staaten einzuschüchtern.
Die „Feigheit“ der deutschen Bundesregierung, gerade gegenüber China und dessen Vorgehen gegen Taiwan, ist ein fatales Signal und eine Eingeständnis von Schwäche in einer Krisensituation.11 Die falsche Demut gegenüber einem autokratischen Staat stärkt diesen Staat geradezu. Ihre Machthaber werden mit der Bedrohung von Freiheit und Demokratie nicht aufhören, denn sie sehen demokratische Werte als Gefahr für den eigenen Machterhalt.
Es ist wichtig, dass sich der Schutz von Demokratie und der Bürger durch Taten und nicht nur durch schöne Worte auszeichnet!
Politische Heilsversprechen an ein utopisches Zeitalter helfen einer Demokratie nicht. Dieses Vorgehen zeichnet eigentlich totalitäre Staaten aus. China versucht, in einer großen Inszenierung vor allem auf dem Balkan die Vorzüge des chinesischen Staatsmodells zu verkaufen. Und findet dabei manch naiven Beifall in Teilen der Bevölkerung. Der Staat als „Quell allen Leitens und Gestaltens“ wird hier als neue Maxime gesehen. Perfekt und rational. Parallelen zur Epoche des „aufgeklärten Absolutismus“ , die eine demokratische Teilhabe „überflüssig“ machte, bestimmt dabei den aktuellen Zeitgeist.
Verkannt wird, dass diese Machtfülle, und sei es eines noch so perfekten Staats- und Gesellschaftssystems, letztlich den Möglichkeiten für Missbrauch Tür und Tor öffnet. Die Geschichte der Menschheit ist voller Beispiele, wie sich gut gemeinte Utopien am Ende als „Hölle auf Erden“ entpuppten.
In den Star-Wars-Filmen wollten der Imperator und Darth Vader „Ordnung ins Chaos“ bringen. Der Imperator versprach bei der Ausrufung des Imperiums im Senat, dass er Sicherheit für die Galaxie bringen werde.
Bürger sollten es sich zur Maxime machen, sich selbst aus einer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien. Das ist die Kernleitlinie aller (sozial-)liberalen und sozialdemokratischen Ideen. Trotzdem scheint es, als wollten immer mehr Menschen einen Staat, der es einem bequem und gemütlich einrichtet, wie ein all-inklusive Urlaub, in dem alles für einen geregelt wird. Damit schafft man seine eigene Mündigkeit ab. Die Konsequenzen des eigenen Handelns sind am Ende egal. Der Egoismus siegt. Man fordert nur noch dann gesellschaftliche Teilhabe ein, wo es dem eigenen persönlichen Weiterkommen dient.
Diese Travestie von Teilhabe und sozialem Aufstieg lähmt am Ende jede politische Debatte. Sie erstickt jede Möglichkeit gesellschaftlichen Impulses im Keim. :::Keine Fake-News und kein Infowar kann erfolgreich sein, wo diese fatalen Fundamente fehlen.::: Alle Versuche, sich dem Einfluss von Fake-News zu entziehen, sei es durch Uploadfilter oder andere „technische Lösungen“, blenden den Kern des Problems aus. Denn sonst müssen wir am Ende konstatieren: Die Medizin und nicht die Krankheit hat den Patienten getötet.
Nur wenn wir stark in unserer eigenen Freiheit sind, sind wir in der Lage uns gegenüber autokratischen Staaten zu behaupten!
Nur durch eigenes politisches Handeln hat Europa und hat unser Land eine Zukunft, die jeder von uns und alle zusammen jeden Tag aufs Neue gestalten können.
Fußnoten
1Edo Reents: Die infantile Gesellschaft : Aus Leuten werden Kinder, in: FAZ 3.11.2012
2Tom Wohlfarth: Die Infantilisierung unserer Gesellschaft , in: Der Freitag, 18.12.2014
https://www.freitag.de/autoren/tom-wohlfarth/die-infantilisierung-unserer-gesellschaft
3Henryk M. Broder: Infantilisierung der Gesellschaft, in: Weltwoche 28.08.2019
4Der SPIEGEL: In eigener Sache Hier finden Sie alle Beiträge zum Fall Claas Relotius
5Jacques Schuster: Gut gemacht Deutschland!, in: DIE WELT, 18.4.2020
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article207333489/Corona-Krise-Gut-gemacht-Deutschland.html
6Georg Löwisch: Kommentar Grüne und Neuwahlen: Was, wenn die Welle bricht?, in TAZ 9.6.2019
7Zdenek Hrib: Warum ich unsere Städtepartnerschaft mit Peking aufgebe, in: Die Welt, 11.1.2020
8Bloomberg: The European Mayor Who Doesn’t Want China’s Help With Virus, 2.4.2020
9Ivan Bartoš : Resilience – more than just a hybrid war threat, auf: Pirate Security Conference 2018:
10Vincent Manancourt: Prague airport reports failed cyberattacks after Czech warning, in: Politico, 18.4.2020,
https://www.politico.eu/article/prague-airport-reports-cyberattack-attempts/
11Jan Schumann und Björn Stritzel: Taiwan schickt Hilfsgüter, doch Deutschland sagt nicht Danke, 18.4.2020
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