„Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“ (Friedrich II.). Die PIRATEN sind eine sozialliberale Partei, welche jedem Menschen die Möglichkeit geben möchte, sich frei entfalten zu können. Dies hat seinen Ursprung im Internet und der Netzkultur. Der Gedanke findet sich seit jeher in der politischen DNA der Piratenpartei. Liberalen sowie demokratischen Staaten ist es an sich egal, wer was ist. Dass jeder Mensch über die gleichen Rechte verfügt, ist Teil ihres demokratischen Selbstverständnisses.
Im Gegensatz dazu nutzen autokratische Staaten wie Russland und China die Vorurteile gegenüber queeren Menschen und transgender Personen. Sie beitreiben politische Propaganda im Inneren und gegen demokratische Staaten. Unter anderem wird propagiert, dass „traditionelle Werte“ und „traditionelle Familienbilder“ verteidigt werden. Damit ist ein Patriarchat gemeint, welches den Mann als Oberhaupt einer Familie über die Frau und die Kinder setzt. Dabei gibt es keinen Platz für Personen, die nicht in diese Rollenbilder passen, wie z.B. homosexuelle und trans Menschen. „Traditionelle Werte“ bzw. „Familienbilder“ heißt demnach: queerfeindliche Politik. Sowohl Russland als auch China sind sehr auf ein chauvisnitisches Männerbild angewiesen. Es hilft ihnen, ein militaristisches und autoritäres Verständnis von Macht und der eigenen Herrschaft zu zementieren.
Die Methoden der Unterdrückung in diesen Staaten sind vielfältig. So gehören das Bespielen von Vorurteilen und Ängsten (Stereotypisierung), Stigmatisierung, Desinformation und die Untergrabung der Glaubwürdigkeit queerer Menschen zu den propagandistischen Kernelementen. Man stellt queere Menschen außerhalb von „Staat und Gesellschaft“ und schafft ein Feindbild. Russland versucht, „traditionelle Werte“ bei der UNHRC anzuerkennen und verabschiedet zeitgleich homosexuellenfeindliche Gesetze. Das erste Gesetz wurde im Mai 2006 verabschiedet. Es verbietet, Homosexuallität in der Öffentlichkeit zu leben oder pro-homosexuelle Aussagen zu verbreiten. Dieses Gesetz hat Ähnlichkeiten zum sowjetischen Umgang mit Homosexuellen. Dr. Olga Žuk schreibt 2004 in Lesben und Community. / Die Geschichte der Lesben in Russland: „Für den Totalitarismus ist Homosexualität eine der Formen des Andersseins – anders zu glauben, anders zu denken, anders zu handeln, anders zu fühlen. Für Diktaturen und totalitäre Staatsformen ist jedes „Anderssein“ gefährlich.“
Eine Konferenz von 2017 befasste sich mit dem homosexuellen Leben in den Ländern des Ostblocks während der Jahre von etwa 1940 bis 1989/90. Die Strafverfolgung von Homosexualität war in den verschiedenen Ländern unterschiedlich. Die Tschechoslowakei und Ungarn legalisierten bereits 1961 gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte zwischen Männern, während in Rumänien die Verfolgung von schwulen Männern sogar bis 1996 andauerte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Homosexualität zeigten die DDR und Bulgarien ab 1968 Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakten zwischen erwachsenen Männern. 1977 folgten die jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Montenegro diesem Beispiel. Überraschenderweise war das streng katholische Polen in dieser Frage erstaunlich liberal und ging bereits 1932 voran. In der Sowjetunion wurde Homosexualität bereits 1922 entkriminalisiert, aber unter Stalin wurden homosexuelle Menschen ab 1934 erneut verfolgt. Dies wurde von einigen sowjetischen Kulturschaffenden, angeführt von Maxim Gorki, gerechtfertigt.
Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt über das Leben von Homosexuellen in der DDR. Sie beschreiben, dass in den 1950er und 1960er Jahren die Situation in Bezug auf Verurteilungen in der DDR moderater war als in der Bundesrepublik. Die DDR war auch in der Entwicklung des Rechts fortschrittlicher, da sie männliche Homosexualität zunächst weniger stark kriminalisierte und 1988 eine entsprechende Sonderregelung ganz strich. Trotz dieser rechtlichen Veränderungen war die DDR in vielerlei Hinsicht homophob. Ab Ende der 1960er Jahre waren Schwule und Lesben schlechter gestellt als im Kaiserreich und in der Bundesrepublik. Schulmaterialien stellten Homosexualität teilweise negativ oder pathologisch dar und wissenschaftliche Forschungen zur Verhinderung von Homosexualität fanden positiven Anklang. Es wurden Analogien zwischen Homosexualität und Kriminalität gezogen. Dies führte zu einer negativen Wahrnehmung von Homosexualität in der Bevölkerung und beeinflusste die Selbstwahrnehmung der Betroffenen. Homosexuellen wurde bis in die 1980er Jahre keine eigene Öffentlichkeit erlaubt und die Stasi überwachte Homosexuelle und ihre Gruppen. Erst die Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität in der DDR im Jahr 1988 ebnete den Weg für die Streichung des Paragrafen 175 sechs Jahre später in einem wiedervereinigten Deutschland.
George Orwell beschreibt in seinem Roman „1984“ die Umdeutung von Begriffen in ihr Gegenteil. Dasselbe Prinzip findet sich auch in Russland und China. Diese Staaten versuchen sich als „frei“ zu inszenieren. Sie setzen die Propagandalüge in die Welt, dass demokratische und liberale Staaten in einer „Genderdikatur“ leben. Für Vladimir Putin ist dieser Gedanke zentral in seinem Staatsbild. Russland verteidige das „traditionelle Familienbild“ gegen den demokratischen Westen, Demokratie und Menschenrechte werden als etwas Bedrohliches dargestellt. Dabei wird der russische Staat mit dem russischen Regime in den Augen von Putin und seinen Anhängern als deckungsgleich gesehen. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass Putin der Staat ist.
Ausgrenzung von Minderheiten hat System. Russland und China betreiben das auch gegenüber ethnischen Minderheiten. In China sperrt die Kommunistische Partei (KP) Völker wie die Uiguren in Lager zusammen, wo sie zwangssinisiert werden sollen. Die KP will die Uiguren zwingen, ihre Kultur zu Gunsten der Han-Mehrheit aufzugeben. Chinas KP will, dass die Minderheiten in China Teil der Mehrheit, der Han, werden und ist bereit, dafür einen Ethnozid durchzuführen. Adrian Zenz forscht seit Jahren zum Umgang der chinesischen Regierung mit religiösen Minderheiten. In einem Interview mit der Tagesschau 2019 sagte Zenz, dass zwischen 900.000 und 1,8 Millionen Menschen durch die chinesische Regierung interniert worden. Er bezeichnete die Situation als „kulturellen Genozid“.
In queeren Menschen, gerade wenn es Han sind, sieht die chinesische Regierung auch eine Gefahr für das verordnete „chinesische Selbstverständnis“. 2021 führte die KP unter Xi eine „Säuberung“ des kulturellen Lebens durch, weil China in der „Verweiblichung“ der chinesischen Männer eine Gefahr für die von der KP proklamierten Ziele sah. Während „Fremde“, worunter auch ethnische Minderheiten in eigenen Land zählen, zwangsassimiliert werden, ist es für Autokratien auch von besonderen Interesse, dass das (meist ethnisch definierte) Staatsvolk die kollektive Personifizierung des staatlich verordneten Handelns ausmacht.
Auch in demokratischen Staaten, wie z.B. in den USA, beherrscht das Thema die politische Debatte. Vorurteile gegenüber queeren Menschen werden zum Spielball von politischen Interessen. Eine Fallstudie von Sophie Bjork-James von der Vanderbilt Universite untersuchte, wie nationalistische Bewegungen voreingenommene Positionen rechtfertigen, indem sie privilegierte Gruppen als Opfer darstellen. Seit Ende der 1970er Jahre haben weiße Evangelikale in den Vereinigten Staaten eine nationale Bewegung gegen die Rechte queerer Menschen angeführt. Durch ihr Engagement dafür, dass sexuelle Minderheiten von Schutzmaßnahmen im Rahmen der Bürgerrechte ausgeschlossen werden, haben sie zu einem kulturellen und rechtlichen Umfeld beigetragen, das strukturelle Gewalt gegen queere Menschen begünstigt.
Diese Ablehnung wird oft als ein Ausdruck von Liebe und nicht als Voreingenommenheit oder Hass verstanden, wie bei langfristigen ethnographischen Untersuchungen in weißen evangelikalen Kirchen in Colorado Springs gezeigt wurde. Unter Berücksichtigung von Theorien über Moral und Nationalismus wird argumentiert, dass die meisten voreingenommenen politischen Bewegungen ihre Motivation darin sehen, eine moralische Ordnung zu verteidigen. Auf diese Weise können sie strukturelle Gewalt gegen untergeordnete Gruppen rechtfertigen.
Der Kampf der queeren Community ist ein Kampf um Menschenrechte. Die Extreme des politischen Spektrums versuchen, diesen Kampf für ihre eigene Propaganda zu Instrumentalisieren. Die Propaganda im Stil der Kommunistischen Partei China und anderer gleicht dabei die der Rechten. Man sieht queere Menschen als privilegiert und behauptet, sie würden „den einfachen Mann“ unterdrücken. Queere Mensche würden zur „dekandenten Bourgeoisie“ gehören. Dass diese Aussagen auch von linken Parteien getätigt werden, ist paradox. Denn gerade die politische Linke will, dass alle Menschen ein freies Leben mit den gleichen Rechten und Pflichten für alle haben.
Auch die AfD nutzt das Thema für ihre Propaganda. Sie versuchen, gendern als einen Kampfbegriff gegen queere Themen zu etablieren und sind die Partei, die am meisten über das Gendern redet. Zudem nutzen sie ihre queerfeindlichen Kampagne im sächsischen Landtag, um Transfeindlichkeit zu verbreiten. Hierbei reden sie auch von „moderner Dekadenz“, ein Kampfbegriff der russischen Propaganda. Im Hass gegenüber queeren Menschen und der queeren Community sind sie sich mit dem Putin-Regime einig. Die AfD verbreitet menschenfeindlichen Hass gegenüber homosexuellen sowie trans Menschen. Hierbei wird die selbe Rhetorik genutzt, wie sie von der russischen Propaganda verbreitet wird.
Wir als Piratenpartei stehen für eine Politik, die die freie Selbstbestimmung von geschlechtlicher und sexueller Identität bzw. Orientierung respektiert und fördert. Fremdbestimmte Zuordnungen zu einem Geschlecht oder zu Geschlechterrollen lehnen wir ab. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Geschlechterrolle, der sexuellen Identität oder Orientierung ist Unrecht.
Literatur:
Wilkinson, C. (2014) Putting “ Traditional Values” Into Practice: The Rise and
Contestation of Anti-Homopropaganda Laws in Russia, Journal of Human Rights, 13: 3, 363-379, DOI: 10.1080/14754835.2014.919218 http://dx.doi.org/10.1080/14754835.2014.919218
Könne, C. (2018). Schwule und Lesben in der DDR und der Umgang des SED-Staates mit Homosexualität, in: Deutschland Archiv, 28.2.2018, Link: www.bpb.de/265466
Ein toller Artikel!