Die Menschen im Iran protestieren. Inzwischen gehen Videos und Bilder davon um die ganze Welt. Einer der bekanntesten Rufe lautet „Frau, Leben, Freiheit.“ Die Proteste richten sich gegen das theokratische Regime im Iran, unter anderem gegen die davon diktierte Kleiderordnung – die Auslöser des Ganzen war. Ein Überblick.
Amini und Khodayari: Frauenfeindliche Politik als Protestauslöser
Ursache der aktuellen Proteste ist der Todesfall der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini. Am 13. September 2022 besuchte sie die Hauptstadt Teheran und wurde dort verhaftet. Der Vorwurf: Sie habe ihr Kopftuch nicht richtig getragen und somit gegen das Gesetz verstoßen. Man brachte sie in eine Haftanstalt, um dort – so die BBC – „umerzogen“ zu werden. Sie brach zusammen, kam in ein Krankenhaus und verstarb nach drei Tagen im Koma.
Das Ergebnis: landesweite Proteste. An mehr als 20 Universitäten begannen Studierende und das Lehrpersonal einen Streik. Bei einem Spiel der iranischen Fußballnationalmannschaft der Männer am 27. September 2022 trugen die Spieler schwarze Jacken während des Abspielens der iranischen Nationalhymne. Dadurch wurden die Nationalfarben und das nationale Wappen verdeckt: ein Zeichen der Solidarität. Im Land bekannte Sänger, Fußballer und andere Persönlichkeiten werden verhaftet, da sie sich öffentlich mit den Protesten solidarisieren.
Auch wenn die Proteste jetzt ein großes Medienecho in Europa erhalten, sind sie für den Iran nichts Neues. Die Regierenden sind schon länger unter Druck aus der Gesellschaft, dass sich Dinge verändern sollen. Gerade die fehlenden Rechte der Frauen rücken mehr und mehr ins Zentrum der Kritik. Proteste gegen den Kopftuchzwang gab es schon seit 2017. Der Todesfall von Mahsa Amini hat sie nun noch verstärkt.
2019 gab es schon einmal einen Todesfall einer iranischen Frau, der Proteste im Land entfachte. Die 29-jährige Sahar Khodayari verbrannte sich selbst vor einem Gerichtsgebäude. Zuvor hatte sie sich als Mann verkleidet in ein Fußballstadion geschlichen und wurde dort verhaftet. Sie war Anhängerin des iranischen Fußballvereins Esteghlal F.C. Getreu dessen Vereinsfarben nannte man Sahar Khodayari in den Sozialen Medien „Blue Girl“. Nachdem man ihr vor dem Revolutionsgericht erklärte, dass sie ein halbes Jahr ins Gefängnis kommen könnte, übergoss sie sich mit leicht brennbarer Flüssigkeit und zündete sich an. Wenige Tage später erlag sie ihren Verbrennungen.
Im Land kam es darauf zu Protesten gegen die frauenfeindliche Politik der iranischen Regierung. Bekannte Fußballspieler solidarisierten sich mit Khodayari und forderten die Männer zum Boykott von Fußballspielen auf. Auch die FIFA setzte die iranische Regierung unter Druck, indem sie drohte, den Iran nicht an der WM 2022 teilnehmen zu lassen, wenn das Land weiterhin Frauen verbiete, Fußballspiele zu besuchen. Einem Monat nach dem Tod von Khodayari hob die Regierung das Verbot (teils) auf.
Eine stärkere und vereinte Protestbewegung
Die derzeitigen Proteste unterscheiden sich von denen in der Vergangenheit. Druck und Spannungen zwischen der Zivilgesellschaft und der iranischen Regierung nahmen über die letzten Jahre zu. Es demonstrieren nicht nur Frauen gegen den Kopftuchzwang. Das gesamte politische System des Irans wird in Frage gestellt – und das von allen Geschlechtern. Die Proteste sind im gesamten Land zu finden, in jeder größeren Stadt. Ihre Intensität und Unterstützung sind weitaus größer als in der Vergangenheit und vereinen nebst den Geschlechtern auch Ethnien sowie die Unter- und Mittelschicht. Dadurch sind sie für das aktuelle iranische System eine viel größere Gefahr.
Einiges findet seine Ursache in der Politik der letzten Jahre. Die Corona-Pandemie hatte den Iran stark getroffen, was zu Protesten und Kritik am Krisenmanagement der Regierung führte. Zusätzlich sorgten die Wirtschaftspolitik der Regierung und Sanktionen dafür, dass die Mittelschicht Verluste erfuhr. Deren Perspektive verschlechtert sich weiter. Die iranische Regierung ist nicht mehr in der Lage, die Mittelschicht hinter sich zu vereinen. Während 2019 vor allem die Unterschicht gegen die Regierung demonstrierte, sind es nun Mittelstand und Unterschicht zusammen.
Ethnische Minderheiten im Iran – insbesondere iranische arabische, kurdische und belutschische Gemeinschaften – erlebten wirtschaftliche Marginalisierung und diskriminierende staatliche Politik. In der Vergangenheit wurden sie von der schiitischen persischen Mehrheit sich selbst überlassen. Die Proteste nach Aminis Tod begannen im kurdischen Teil des Irans und breiteten sich dann aus, jetzt scheint auch dieser Graben geschlossen. Zu dem Schluss kommt auch Iranexperte Ali Fathollah-Nejad von der Freien Universität Berlin. Deshalb, so Fathollah-Nejad, lasse sich nun nicht voraussagen, ob die Massendemonstrationen wie alle zuvor in einem Blutbad mündeten oder in einer neuen Revolution.
Eine ähnliche Situation gab es vor der Revolution von 1979, wo diese Entwicklung am Ende in der Revolution gemündet hatten. Die aktuellen Proteste und die Entfremdung zwischen Regierung und der Bevölkerung ähneln dem Zustand, welcher vor der Revolution von 1979 zwischen dem Schah und der iranischen Bevölkerung bestand.
Ein Ende der iranischen islamischen Republik?
Die Auswirkungen des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine und der dadurch wieder aufgeflammte Krieg zwischen Armenien und Azerbaijan sorgen zusätzlich für Druck. Die iranische Unterstützung Russlands, aber auch die hegemonialen Ambitionen Ankaras und Bakus in Bezug auf eine Vereinigung Nord- und Südazerbaijans auf Kosten der iranischen Souveränität, erhöhen in vielfältiger Weise den Druck auf die Regierung in Teheran.
Ähnlich wie nach dem Überfall Saddam Husseins auf den Iran im Jahr 1980, könnten Anrainerstaaten, welche eine Unsicherheit und Schwäche in der aktuellen Situation im Iran sehen, die Entwicklungen stark beeinflussen. Baku, welches einen Angriff auf Armenien direkt in Folge des russischen Abzugs im Kaukasus betrieb, könnte hier eine Wildcard werden. Ankara und Baku sehen den Iran als Konkurrenz. Diese Tatsache könnte unvorhergesehene Entwicklungen im Iran auslösen.
Die iranische Regierung selbst ist aufgrund dieser außen- und geopolitischen Umstände in ihren Handlungen in Bezug auf die Proteste eingeschränkt. Hier ergebene sich frappierende Parallelen zur Situation vor 1979. Der baldige Tod von Khameini könnte eine Wasserscheide sein, im Guten wie im Schlechten. Verschiedene Szenarien wie sie Michael Rubin in einem Beitrag am 11. September 2022 darlegte, könnten auch im Umgang des Regimes mit den Protesten eine Rolle spielen.
Die Revolutionsgarden, sind sie auch potenziell stark, würden zu Beginn nur die Hauptstadt und das Zentrum des Landes kontrollieren. In den Randgebieten und bei den ethnischen Minderheiten würde es sofort zu Aufständen kommen. Im Gegensatz zur Revolution von 1979 würden diesmal aber Staaten wie Azerbaijan die Gelegenheit nutzen, den Iran anzugreifen. Der Iran könnte diesmal aus Sicht der Garden schlimmeren Koalition als im Krieg gegen Saddam Hussein gegenüberstehen. Daher ist das „unwahrscheinliche“ Szenario, wie Ruben es nennt – ein Ende der islamischen Republik und eine Rückkehr zur Monarchie – am Ende das wahrscheinlichste. Wie in der Analyse von 2021 der AG Außenpolitik angemerkt, darf man nicht sich von Gewohnheiten fehlleiten lassen.
Der Druck auf die Eliten im Iran durch die bestehenden außenpolitischen Gefahren, welche auch vom Abschneiden Russlands in der Ukraine abhängen, wird starken Einfluss auf Irans nahe Zukunft haben. Wenn Moskau in der Ukraine verliert, wird dies Baku und Ankara ermutigen. Das wiederum sorgt für Druck auf Teheran, schnelle eine das Land vereinigende Regierung zu bilden. Das wäre eine Möglichkeit, die islamische Republik gesichtswahrend zu beerdigen. Die Konsequenz eines Sieges der Ukraine gegen Russland, könnte ein Ende der islamischen Republik im Iran bedeuten.
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